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Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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unaufhörlich in unserer Richtung wehte und eine sehr starke Strömung uns unablässig mit sich forttrug.
    Die Datierung der folgenden Notizen erhebt nicht den Anspruch, genau zu sein. Sie hat. nur den Zweck, die Erzählung deutlicher zu machen.
    1. März. Vielerlei merkwürdige Erscheinungen zeigten uns nunmehr an, daß wir in ein Reich neuer und wunderbarer Dinge einzudringen begannen. Eine berghohe Wand lichtgrauen Dunstes war beständig am Horizont zu schauen; manchmal schoß sie gewaltige Streifen zum Zenit empor, dann bewegte sie sich mit Märchenschnelle von Ost nach West und wiederum von West nach Ost, um endlich wieder einen langen und gleichförmigen Kamm aufzubauen; kurz, sie spielte in allen wechselnden Gestalten des Nordlichts. Die Höhe dieser Dunstschicht mochte, so wie sie von unserem Standpunkt aus erschien, ungefähr fünfundzwanzig Grad betragen. Die See wurde mit jedem Augenblicke wärmer, und die starke Veränderung ihrer Farbe konnte uns nicht entgehen.
    2. März. Heute gelang es uns, durch wiederholtes Ausfragen des Gefangenen viele Einzelheiten über die mörderische Insel, ihre Bewohner und deren Sitten in Erfahrung zu bringen; doch will ich den Leser damit nicht langweilen. Einige Mitteilungen mögen genügen. Die Gruppe bestand aus acht Inseln; sie wurden alle von einem König beherrscht, der Tsalemon oder Psalemun hieß und auf der kleinsten Insel seinen Sitz hatte; sie schwarzen Felle, die das Gewand der Krieger bildeten, stammten von einem ungeheuren Tier, das nur in einem bestimmten Tal in der Nähe des Königshofes anzutreffen war; die Bewohner der Gruppe vermochten nur Flachboote zu bauen, und die vier Kanus – wie ich schon erzählt habe – waren durch Zufall in ihren Besitz gekommen; unser Wilder selbst hieß Nunu; er schien die Bennetsinsel nicht zu kennen, die Mordinsel führte den Namen Tsalal. Der Anlaut der Worte: »Tsalemon« und »Tsalal« glich einem lang hingezogenen Zischen, das wir trotz wiederholter Versuche nicht im entferntesten nachahmen konnten. Dieses Zischen entsprach genau einem Laut, den jene schwarze Rohrdommel, die von uns auf dem Berg erlegt worden war, auf ihrer Flucht von sich gegeben hatte.
    3. März. Die Hitze des Wassers wurde jetzt ganz erstaunlich, und seine Färbung ging rasch vom Durchsichtigen zu einer milchigen Weiße und Dichtigkeit über. In unserer nächsten Nachbarschaft war es zumeist glatt und niemals bewegt genug, um das Kanu irgendwie zu gefährden; aber zu unserer Überraschung zeigte sich die Oberfläche des Meeres in verschiedenem Abstand von uns zur Rechten und Linken häufig wie von einem plötzlichen Krampf weithin erregt, und jedesmal ging dieser Bewegung ein heftiges Geflacker in den Dunstregionen des Südens voraus.
    4. März. Heute wollte ich unser Segel vergrößern, da die Brise aus Norden in merkbarer Weise abnahm, und ich holte zu diesem Zweck ein weißes Tuch aus meiner Rocktasche. Nunu saß neben mir, und als die Leinwand ihm zufällig ins Gesicht flatterte, verfiel er alsbald in furchtbare Krämpfe. Danach traten Schläfrigkeit und Stumpfsinn ein, und er murmelte unaufhörlich: »Tekeli-li! Tekeli-li!«
    5. März. Der Wind hatte vollständig ausgesetzt, aber wir fühlten uns von einer mächtigen Strömung mit unwiderstehlicher Gewalt immer nach Süden getrieben. Und jetzt wäre es vernünftig und natürlich erschienen, wenn uns die Wendung der Dinge ernstlich beunruhigt hätte – aber wir empfanden keinerlei Besorgnis. Peters‘ Gesicht zeigte nicht die geringste Spur davon; zuweilen allerdings lag ein Ausdruck darin, den ich nicht zu ergründen vermochte. Der Polarwinter schien zu nahen; aber er nahte ohne seine Schrecknisse. Ich war matt an Geist und Körper; mich umfing eine traumhafte Verschlafenheit. Das war alles.
    6. März. Der graue Dunst war jetzt um viele Grade höher über den Horizont heraufgestiegen, und seine Färbung begann allmählich immer heller zu werden. Die Hitze des Wassers war so groß, daß wir es nur ungern berührten, in der Farbe gemahnte es immer mehr und mehr an Milch. Heute ereignete sich dicht am Kanu eine jener krampfartigen Bewegungen der Meerflut. Zugleich zeigte sich, wie gewöhnlich, ein wildes Aufflackern der Dünste an ihrem oberen Saum, während sie sich unten zu teilen schienen. Ein feiner, weißer Staub, der wie Asche aussah, aber gewiß etwas anderes war, schneite auf das Kanu und einen großen Teil der Wasserfläche hernieder, sobald das Flackern des Dunstes erstorben und die

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