Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk
jüngst erwachte Freigebigkeit und Verschwendungssucht des Herrn Guterjung nachdachte, kam mir ein Verdacht, der, wenn ich ihn auch für mich behielt, darum doch nicht weniger stark war.
Inzwischen begann ich eine eifrige private Nachforschung nach der Leiche des Herrn Schützenwerth und suchte aus guten Gründen in Gegenden, die möglichst weit ablagen von denen, in die Herr Guterjung die Gesellschaft geführt hatte. Dadurch entdeckte ich nach einigen Tagen eine alte versiegte Quelle, die fast ganz in Brombeergesträuch verborgen lag, und hier fand ich, was ich suchte.
Nun hatte ich seinerzeit zufällig die Unterredung der beiden Zechgenossen angehört, bei der Herr Guterjung seinem Gastgeber das Versprechen auf eine Kiste Château Margaux herauszulocken wußte. Diesem Fingerzeig folgte ich. Ich beschaffte mir eine steife Stange Fischbein, stieß sie der Leiche in den Schlund hinab, die ich dann in eine leere Weinkiste legte – indem ich den Körper so zusammenbog, daß das Fischbein ebenfalls zusammengebogen wurde. Auf die Art mußte ich den Kistendeckel mit aller Gewalt herunterdrücken, während ich die Nägel einschlug, und ich sagte mir natürlich, sobald man den Deckel lockerte, würde er ab- und der Körper emporschnellen.
Nachdem ich die Kiste so hergerichtet hatte, versah ich sie mit Zeichen und Nummer und adressierte sie wie vorerwähnt. Dann schrieb ich im Namen der Weinhandlung, zu der Herr Schützenwerth Geschäftsbeziehungen hatte, einen Brief und gab meinem Diener den Auftrag, die Kiste auf ein gegebenes Zeichen von mir in einem Schubkarren vor Herrn Guterjungs Tür zu fahren. Für die Worte, die ich der Leiche in den Mund zu legen gedachte, verließ ich mich vertrauensvoll auf meine Bauchrednerkünste, ihre Wirkung garantierte mir das schlechte Gewissen des mörderischen Schurken.
Ich glaube, weiter ist nichts zu erklären. Herr Kielfeder wurde auf der Stelle freigelassen, erbte das Vermögen seines Onkels, zog aus den Erfahrungen seinen Nutzen, besserte sich und führte von nun an ein neues, glückliches Leben.
Eine Geschichte aus Jerusalem
Intonsos rigidam in frontem descendere canos Passus erat.
Lucan,Pharsalia, II, 375/6
...eine borstige Last – –
»Laßt uns zu den Wällen eilen,« sagte Abel-Phittim zu Bazi-Ben-Levi und Simeon dem Pharisäer, am zehnten Tage des Monats Thamuz dreitausendneunhundertundeinundvierzig – »laßt uns zu den Wällen am Tore des Benjamin in der Stadt Davids eilen, das auf das Lager der Unbeschnittenen niederblickt; denn es ist Sonnenaufgang und die letzte Stunde der vierten Wache, und die Götzendiener sollten uns, dem Versprechen des Pompejus gemäß, mit den Opferlämmern erwarten.«
Simeon, Abel-Phittim und Bazi-Ben-Levi waren die Gizbarim oder Unterempfänger der Opfergaben in der heiligen Stadt Jerusalem.
»Wahrlich, laßt uns eilen«, erwiderte der Pharisäer; »denn diese Großmut der Heiden ist ungewöhnlich, und Wankelmütigkeit ist den Baalanbetern eigentümlich.«
»Daß sie wankelmütig und hinterlistig sind, das ist so wahr wie der Pentateuch«, sagte Bazi-Ben-Levi; »aber nur gegen das Volk des Adonai. Wann hätte es sich je gezeigt, daß die Ammoniter gegen ihre eigenen Interessen gehandelt hätten? Ich meine, es sei kein besonderes Zeichen von Großmut, uns für den Altar des HerrnLämmer zuzugestehen, wenn sie statt dessen für den Kopf dreißig Silberschekel erhalten!«
»Du vergißt jedoch, Ben-Levi,« entgegnete Abel-Phittim, »daß der Römer Pompejus, der jetzt die Stadt des Allerhöchsten gottlos belagert, keine Gewißheit hat, ob wir nicht die derart für den Altar erworbenen Lämmer mehr zur Pflege des Leibes denn des Geistes verwenden.«
»Nun, bei den fünf Ecken meines Bartes,« rief der Pharisäer, der zu der Sekte gehörte, die man »die Werfer« nannte (jene kleine Gruppe von Heiligen, deren Art, die Füße aufs Pflaster zu werfen und daran zu zerfetzten, für die weniger eifrigen Gläubigen lange ein Stachel und ein Vorwurf war – ein Stein des Anstoßes für weniger begabte Erdenpilger) – »bei den fünf Ecken des Bartes, den zu scheren mir als Priester verboten ist –, müssen wir den Tag erleben, da ein gotteslästerlicher und götzendienerischer römischer Emporkömmling uns beschuldigen soll, die heiligsten und geweihtesten Dinge fleischlichen Gelüsten zuzuführen? Müssen wir den Tag erleben, da –«
»Wozu uns um die Gründe des Philisters kümmern,« fiel Abel-Phittim ein, »denn heute ziehen wir zum
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