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Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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einen halben Versuch, seinen rechten Arm in Kontakt mit den Bewegungen meines eigenen zu bringen, indem ich leicht über seinen Körper hinauf- und hinabstrich. Ich hatte mit solchen Versuchen bei dem Kranken bisher nie Erfolg gehabt und erwartete es natürlich auch jetzt nicht. Doch zu meinem Erstaunen folgte jetzt sein Arm ohne weiteres, wenn auch schwach, jeder Richtung, die ich mit meinem Arm angab. Das gab mir den Mut, auch einige Worte an ihn zu richten.
    »Valdemar«, fragte ich, »schlafen Sie?« Er gab keine Antwort, aber ein leichtes Zittern, das ich an seinen Lippen bemerkte, veranlaßte mich, die Frage mehrmals zu wiederholen. Bei der dritten Wiederholung ging ein kaum bemerkbares Zittern durch den ganzen Körper. Die Augenlider öffneten sich so weit, daß sie einen schmalen Schlitz des Weißen sehen ließen, die Lippen bewegten sich schwerfällig, und in einem fast unhörbaren Flüstern drangen die Worte hervor:
    »Ja – ich schlafe jetzt. Wecken Sie mich nicht! – Lassen Sie mich so sterben!«
    Ich befühlte jetzt die Glieder, sie waren so steif wie vorher. Der rechte Arm aber gehorchte auch jetzt wieder den Bewegungen meiner Hand.
    »Fühlen Sie noch Schmerzen in der Brust, Valdemar?« fragte ich nunmehr den Mesmerisierten.
    Die Antwort kam sofort, war aber fast noch weniger hörbar als vorher:
    »Keine Schmerzen – ich sterbe.«
    Ich hielt es nicht für angebracht, ihn jetzt noch weiter zu stören, und es wurde nichts mehr gesagt noch getan, bis kurz vor Sonnenaufgang Dr. F. kam, der maßlos erstaunt war, den Kranken noch am Leben zu finden. Nachdem er den Puls befühlt und den Atemspiegel an die Lippen gesetzt hatte, bat er mich, nochmals zu dem Mesmerisierten zu sprechen. Ich tat es und fragte:
    »Valdemar, schlafen Sie noch?«
    Wiederum vergingen einige Minuten, ehe eine Antwort kam, und in der Zwischenzeit schien der Sterbende alle Energie zum Sprechen zu sammeln. Bei der vierten Wiederholung meiner Frage sagte er ganz schwach und fast unhörbar:
    »Ja, ich schlafe noch – ich sterbe.«
    Es war nunmehr die Meinung, oder vielmehr der Wunsch der Ärzte, daß man Valdemar in diesem offenbar ruhigen Zustande bis zum Eintritt des Todes lassen sollte, was nach unserer aller Ansicht nur noch wenige Minuten dauern konnte. Ich beschloß aber, noch ein einziges Mal zu ihm zu sprechen, und wiederholte einfach meine letzte Frage.
    Bei meinen Worten trat eine auffällige Veränderung im Aussehen des Mesmerisierten ein. Die Augen öffneten sich langsam, wobei die Pupillen nach oben rollten, die Haut nahm einen leichenhaften Schimmer an, glich aber nicht so sehr Pergament als Papier, und die runden, hektischen Flecken, die bisher deutlich auf jeder Wange zu sehen gewesen, erloschen ganz plötzlich. Ich gebrauche absichtlich diesen Ausdruck, denn ihr Verschwinden erinnerte mich ganz und gar an das durch einen Windstoß verursachte Erlöschen einer Kerze. Die Oberlippe, die bisher die Zähne bedeckt hatte, zog sich in demselben Augenblick zurück, während der ganze Unterkiefer mit einem hörbaren Ruck herabfiel, so daß der Mund weit offen stand und deutlich die geschwollene schwärzliche Zunge zeigte. Ich glaube, daß wohl keinem der Anwesenden die Schrecken eines Sterbelagers unbekannt waren, aber Valdemar sah in diesem Augenblick so über alle Vorstellungen grauenhaft aus, daß wir unwillkürlich aus der Nähe des Bettes zurückwichen.
    Ich komme jetzt bei meinem Bericht zu einem Punkt, wo mir jeder Leser den Glauben verweigern wird. Trotzdem halte ich es für meine Aufgabe, einfach in meinem Bericht fortzufahren. Bei Valdemar war auch nicht das schwächste Zeichen von Leben mehr festzustellen, und in der Überzeugung, er sei tot, wollten wir ihn schon der Obhut des Pflegepersonals überlassen, als wir eine starke, zitternde Bewegung an der Zunge bemerkten. Sie dauerte vielleicht eine Minute. Dann aber kam zwischen den starren und bewegungslosen Kiefern eine Stimme hervor – die auch nur beschreiben zu wollen Wahnsinn wäre. Es gibt vielleicht zwei oder drei Eigenschaftswörter, die hier einen schwachen Hinweis geben. Ich könnte zum Beispiel sagen, der Klang sei mißtönend, gebrochen und hohl gewesen, aber das Grauenhafte des ganzen Eindrucks läßt sich nicht beschreiben, schon aus dem einfachen Grunde nicht, weil nie ähnliche Laute ein menschliches Gehör gequält haben. Trotzdem möchte ich zwei Besonderheiten anführen, die wenigstens diesen Eindruck etwas charakterisieren und eine gewisse Idee

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