Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk
Schriftstellernamen Issachar Marx den Wallenstein und den Gargantua ins Polnische übersetzt hatte. Valdemar, der seit dem Jahre 1839 meist in Harlem im Staate New-York gewohnt hat, fiel durch die außerordentliche Magerkeit seines Körpers und durch seinen schneeweißen Schnurrbart auf, der so stark gegen sein tiefschwarzes Kopfhaar abstach, daß man dieses allgemein für eine Perücke hielt. Er war hochgradig nervös und dadurch sehr empfänglich für mesmeristische Experimente. Ein- oder zweimal hatte ich ihn ohne große Schwierigkeiten eingeschläfert, in anderer Hinsicht aber wurden meine Erwartungen, die ich auf seinen körperlichen Zustand gesetzt hatte, enttäuscht. Sein Wille kam eigentlich nie unter meine Kontrolle, und ebenso wenig konnte ich ihn zu irgendwelchem Hellsehen bringen. Ich schrieb diese meine Mißerfolge stets seinem krankhaften Gesundheitszustand zu, denn schon ein paar Monate, bevor ich ihn näher kennen lernte, hatten mir die Ärzte mitgeteilt, daß er hochgradig schwindsüchtig sei. Er sprach auch stets ganz ruhig von seiner bevorstehenden Auslösung wie von einer unvermeidlichen Sache, die man nicht weiter zu bedauern braucht«.
Es war übrigens ganz natürlich, daß ich bei meinem Plan an Valdemar dachte. Ich kannte seine philosophische Abgeklärtheit und wußte, daß er keine Bedenken dagegen haben würde. Auch besaß er in Amerika keine Verwandten, die vielleicht Einspruch erhoben hätten. Daher sprach ich ganz offen mit ihm über den Gegenstand, und zu meinem Erstaunen interessierte er sich sofort lebhaft dafür. Ich sage zu meinem Erstaunen, denn er hatte zwar bisher stets seine Person zu solchen Experimenten hergegeben, ohne aber je eine innere Anteilnahme daran auszudrücken. Seine Krankheit verlief so, daß man den Tag des Todes ziemlich genau berechnen konnte, und wir kamen schließlich überein, daß er mich ungefähr vierundzwanzig. Stunden vor dem Zeitpunkt, für den die Arzte den Beginn der Auflösung erwarteten, holen lassen wollte.
Es ist jetzt etwas mehr als sieben Monate her, da erhielt ich folgenden, von Valdemar selbst geschriebenen Brief:
»Mein lieber P., Sie können jetzt ruhig kommen. D. und F. sind sich darüber einig, daß ich die morgige Mitternacht nicht überleben werde, und ich glaube, sie haben den Zeitpunkt ziemlich genau getroffen. Valdemar.«
Ich empfing den Brief eine halbe Stunde, nachdem er geschrieben war, und fünfzehn Minuten später befand ich mich im Sterbezimmer des Mannes. Ich hatte ihn seit zehn Tagen nicht gesehen und erschrak über die furchtbare Veränderung, die bei ihm eingetreten war. Sein Gesicht hatte eine bleigraue Farbe, seine Augen waren vollständig glanzlos, und die Abmagerung ging so weit, daß die Backenknochen durch die Haut traten. Der Auswurf war sehr stark, der Puls kaum noch vernehmlich. Trotzdem verfügte er über eine bemerkenswerte geistige und bis zu einem gewissen Grade sogar physische Kraft. Er sprach ganz deutlich, nahm ohne Hilfe lindernde Medizin ein und war, als ich das Zimmer betrat, damit beschäftigt, mit einem Bleistift Bemerkungen in ein Notizbuch zu schreiben. Er saß, durch Kissen gestützt, halb aufgerichtet im Bett, und die Ärzte D. und F. leisteten ihm Beistand.
Nachdem ich Valdemars Hand gedrückt, nahm ich die beiden Herren zur Seite und ließ mir von ihnen einen genauen Bericht über den Zustand des Patienten geben. Die linke Lunge befand sich seit achtzehn Monaten in einem halb verkalkten oder verknorpelten Zustand und war zum Atmen nicht mehr brauchbar. Die rechte war in ihrem oberen Abschnitt zum Teil, vielleicht auch ganz verkalkt, während die untere Hälfte nur noch eine Masse von eiternden Tuberkelherden bildete. An verschiedenen Stellen hatten ausgedehnte Durchlöcherungen stattgefunden, an einer war die Lunge fest mit den Rippen verwachsen. Diese Erscheinungen am rechten Flügel waren übrigens verhältnismäßig jüngeren Datums. Die Verkalkung hatte so schnelle Fortschritte gemacht, daß man einen Monat vorher noch nichts davon bemerken konnte und die Verwachsung sogar erst seit drei Tagen erkannt hatte. Unabhängig von der Schwindsucht bestand noch eine Geschwulst in der Herzschlagader, doch machte die Verkalkung der Lunge eine genaue Diagnose darüber unmöglich. Beide Arzte waren der Ansicht, daß Valdemar um Mitternacht des folgenden Tages, der ein Sonntag war, sterben werde. Jetzt war es Samstagabend gegen sieben Uhr.
Die Ärzte D. und F. hatten, als sie das Bett verließen, um
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