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Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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nichts mehr bis zum Tagesanbruch – abgesehen von einem leisen Schluchzen oder Murmeln, das jedoch beinahe unhörbar an mein Ohr schlug, so leise und schwach, daß ich es fast als eine Vorspiegelung meiner allzu wachen Phantasie ansehen muß. Es hätte ein Schluchzen und Murmeln sein können und auch wieder nicht – wahrscheinlich klangen mir nur die Ohren. Jedenfalls jedoch ließ Wyatt einmal wieder irgendeiner phantastischen Laune die Zügel schießen, überließ sich wieder allzusehr seinem künstlerischen Enthusiasmus. Wahrscheinlich hatte er die längliche Kiste geöffnet, um seine Augen ungestört an dem Schatz, den sie verbarg, zu weiden. Aber darin lag doch gewiß nichts, was ihn zum Schluchzen hätte bringen können. Ich wie derhole deshalb noch einmal, daß mich wohl meine durch Kapitän Hardys grünen Tee allzu erregte Phantasie mit falschen Vorspiegelungen quälte. In jeder der schlaflosen Nächte hörte ich kurz vor Tagesanbruch deutlich, wie Herr Wyatt den Deckel wieder auf die längliche Kiste legte und mit dem umwickelten Hammer die Nägel in ihre alten Löcher schlug. War dies geschehen, so trat er, vollständig angekleidet, aus seiner Kajüte heraus und rief Frau Wyatt aus der ihrigen.
    Sieben Tage waren wir schon auf See und befanden uns eben auf der Höhe von Kap Hatteras, als plötzlich aus Südwest ein furchtbarer Sturm losbrach. Von verschiedenen Anzeichen benachrichtigt, waren wir auf Unwetter vorbereitet, und in einem Augenblick war oben und unten auf dem Schiff alles wohlverwahrt und festgemacht; doch da der Sturm an Heftigkeit stetig zunahm, legten wir endlich, unter doppelt gerefftem Flitter- und Vormarssegel, bei. Achtundvierzig Stunden blieb das Schiff in diesem Zustand, ohne sonderlichen Schaden zu nehmen, es erwies sich im Gegenteil als äußerst seetüchtig und schöpfte fast gar kein Wasser. Nach Verlauf dieser Zeit jedoch steigert sich der Sturm zum Orkan, unser Hintersegel zerriß in Fetzen, und wir gerieten bald so sehr zwischen die Wogen, daß wir unmittelbar nacheinander mehrere Sturzwellen bekamen. Bei dieser Gelegenheit wurden drei Personen über Bord gerissen, die Kombüse und fast die ganze äußere Plankenbekleidung am Backbord wurde von den Wellen weggespült. Kaum waren wir wieder zu uns gekommen, so zerriß auch unser Vormarssegel in tausend Stiicke. Wir setzten ein Sturmsegel aus, worauf es einige Zeitlang leidlich gut ging.
    Der Sturm jedoch hielt immer noch an und nichts ließ erwarten, daß er sich bald legen werde. Wir bemerkten, daß unser Takelwerk arg mitgenommen war, und am dritten Tage des Unwetters brach unser Besanmast, und wir wurden mit größter Heftigkeit hin und her geschleudert. Der gebrochene Mast lag auf dem Deck, und bei dem fürchterlichen Schlingern des Schiffes bemühten wir uns vergeblich, ihn loszuwerden. Gegen fünf Uhr nachmittags teilte der Schiffszimmermann die keineswegs ermutigende Tatsache mit, daß im Schiffsraum das Wasser vier Fuß hoch stehe, und um all das Unheil zu krönen, stellte es sich bald heraus, daß die Pumpen nicht funktionierten.
    Nun geriet alles in Verwirrung und wilde Angst, und man schritt zu dem verzweifelten Versuch, das Schiff durch Abwerfen aller erreichbaren Ladung und Abhauen der beiden letzten Masten zu erleichtern. Mit vieler Mühe gelang uns dies endlich, doch da die Pumpen nach wie vor unbrauchbar blieben, füllte sich das Schiff immer mehr mit Wasser. Gegen Sonnenuntergang ließ der Sturm merklich nach, und da auch die See minder heftig ging, schöpften wir die schwache Hoffnung, uns in Boote retten zu können. Um acht Uhr abends zerteilten sich die Wolken, leuchtend brach das Licht des Vollmondes durch sie hindurch, erhellte unsere düstere Angst und richtete unseren gesunkenen Mut durch sein trostverheißendes Glänzen wieder auf.
    Nach unsäglichen Anstrengungen gelang es uns, das große Boot unbeschädigt ins Wasser zubringen. Die ganze Schiffsmannschaft sowie der größte Teil der Passagiere nahm in ihm Platz und gelangten nach drei schreckensvollen Tagen endlich in die Okrakoke-Bay.
    Vierzehn Passagiere und der Kapitän waren auf dem Wrack geblieben, da sie der Jolle am Hinterteil des Schiffes ihr Leben anvertrauen wollten. Wir brachten diese auch ohne Schwierigkeit ins Wasser, doch verhinderte nur ein Wunder, daß sie im Augenblick, da sie in die Wellen tauchte, nicht umschlug. Kapitän Hardy und Frau, Wyatt mit seinen Damen, ein mexikanischer Offizier mit Frau und Kindern und ich selbst mit einem

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