Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk
sie sei, nahm er als selbstverständlich an, daß ich die jüngere Schönheit meinte, und sagte also sehr wahr, es sei »die berühmte Witwe Madame Lalande«.
Am nächsten Morgen begegnete meine Ururgroßmutter auf der Straße Talbot, einer alten Pariser Bekanntschaft, und ganz natürlich bezog das Gespräch sich auf mich. Meine Kurzsichtigkeit wurde erörtert, denn die war offenkundig, so unbekannt auch mir selbst diese Offenkundigkeit blieb, und meine gute alte Verwandte entdeckte sehr z ihrem Leidwesen ihren Irrtum, als sie glaubte, ich kenne sie, und daß ich mich nur selber furchtbar bloßgestellt hatte, indem ich im Theater mit einer fremden alten Frau öffentlich kokettierte. Um mich für diese Unvorsichtigkeit zu strafen, schloß sie mit Talbot ein Komplott. Er ging mir absichtlich aus dem Wege, um mich nicht einführen zu müssen. Meine Erkundigungen auf der Straße nach der entzückenden Witwe Madame Lalande wurden natürlich auf die jüngere Dame bezogen, und so kann man sich die Unterredung mit den drei Herren, die ich kurz nach dem Verlassen von Talbots Wohnung ansprach, leicht erklären, ebenso ihre Bezugnahme auf Ninon de l‘Enclos. Ich hatte keine Gelegenheit, Madame Lalande bei Tageslicht aus der Nähe zu sehen, und bei ihrer musikalischen Soiree hinderte mich mein alberner Verzicht auf helfende Augengläser ihr Alter herauszufinden. Als man »Madame Lalande« zu singen bat, war die jüngere Dame gemeint, und sie war es, die sich erhob, um dem Rufe zu folgen; meine Ururgroßmutter aber erhob sich gleichzeitig, um die Täuschung durchzuführen, und begleitete sie ans Piano im großen Gesellschaftszimmer. Hätte ich mich entschlossen, sie dorthin zu begleiten, so hätte sie mir nahegelegt, es sei ratsamer, zu bleiben, wo ich war; meine eigene Vorsicht machte das aber überflüssig. Der Gesang, den ich so tief bewunderte und der meinen Eindruck von der Jugend meiner Angebeteten so befestigte, entströmte dem Munde der Madame Stephanie Lalande. Das Augenglas wurde mir überreicht, um dem Spott die Schmach hinzuzufügen – der hohnvollen Täuschung noch einen Stachel zu geben. Das Geschenk bot Gelegenheit zu einer Vorlesung über Zuneigung, mit der man mich besonders erbaute. Es ist recht überflüssig, zu sagen, daß die Gläser des Instruments, wie die alte Dame sie benutzte, gegen ein Paar meinen Jahren besser passende ausgetauscht worden waren. Tatsächlich paßten sie mir vorzüglich.
Der Geistliche, der nur so tat, als knüpfe er die fatale Schlinge, war ein guter Freund Talbots und kein Priester. Jedenfalls war er ein gewandter Betrüger, und als er das Unterkleid des Geistlichen mit einem Überrock vertauscht hatte, kutschierte er mit seiner Mähre das »glückliche Paar« zur Stadt hinaus. Talbot nahm neben ihm Platz. Die beiden Schurken hatten sich also mitgeschmuggelt und ergötzten sich daran, durch ein halboffenes Fenster des Gastzimmers die Lösung des Dramas mitanzusehen. Ich werde wohl genötigt sein, sie alle beide zu fordern.
Immerhin, ich bin nicht der Gatte meiner Ururgroßmutter, und das ist ein Bewußtsein, das sehr befreiend wirkt; aber ich bin der Gatte von Madame Lalande – von Madame Stephanie Lalande –, denn meine gute alte Verwandte, die mich zu ihrem einzigen Erben nach ihrem Tode ernannt hat – wenn sie je stirbt –, hat sich bemüht, aus uns ein Paar zu machen. Zum Schluß: ich bin ein für allemal fertig mit »billets-doux« und lasse mich nie mehr ohne Brille blicken.
Des wohlachtbaren Herrn Thingum Bob
früheren Herausgebers der »Blechschmiede«, literarischer Werdegang von ihm Selbst
Man wird älter, und da ich mir darüber klar bin, daß Shakespeare und Mr. Emmons gestorben sind, so halte ich es nicht für unmöglich, daß auch ich einst sterben muß. So kommt mir der Gedanke, mich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen und auf meinen Lorbeeren auszuruhen. Doch mein Ehrgeiz spornt mich an, den Entschluß der Niederlegung meiner literarischen Herrschaft durch irgendeine für die Nachwelt wichtige Tat zu feiern. Kann ich es besser tun, als indem ich meinen literarischen Lebenslauf niederschreibe? Mein Name hat so lange und so beständig der Öffentlichkeit gehört, daß ich wohl verstehe, wie natürlich das Interesse ist, welches er überall erregt hat, und ich bin gern bereit, die außerordentliche Neugierde, deren Ziel sein Träger war, zu befriedigen. Wahrlich, es ist die unbedingte Pflicht dessen, der Großes erreicht hat, auf dem Pfade zur Höhe
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