Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk
Ehrfurcht
Die Mächtigsten der Erde – wir beherrschen
Die Riesengeister aller Nationen.
Wir sind nicht machtlos, wir verblichnen Steine.
Nicht aller Ruhm vergangner Tage schwand,
Nicht aller Zauber unsres hohen Rufs,
Nicht alle Wunderkraft, die in uns wohnt,
Nicht die Mysterien, die in uns liegen,
Nicht die Erinnerung, die an uns hängt
Sich an uns schmiegt wie ein Gewand, uns kleidend
In einen Schmuck, weit köstlicher als Ruhm.
Hymne
Wenn ich des Morgens mich erhob,
Maria! hörtest du mein Lob.
Legte ich mich zum Schlummer hin.
Pries ich dich, Himmelskönigin.
Als noch die Stunde hell entflog,
Den Himmel kein Gewölk umzog,
Nahmst du, wie eine Mutter tut,
Mein schwaches Herz in deine Hut.
Nun, da die Tage freudlos fliehn,
Mein Leben Stürme überziehn,
Mach meine Zukunft wieder licht
Durch Hoffnung und durch Zuversicht.
Lied
Ich sah dich unterm Myrtenkranz
Erröten tief und zag,
Da noch die Welt in eitel Glanz
Und Liebe vor dir lag.
Von allem Prunk und Flackerlicht
In deinem Brautgeleit
Sah mein geblendetes Gesicht
Nur deine Lieblichkeit.
Mag sein, daß jene scheue Glut
Nur flüchtig dich berührt,
Mir aber ward davon das Blut
Zur Flamme angeschürt.
Da ich dich unterm Myrtenkranz
Erröten sah so zag,
Obwohl die Welt in eitel Glanz
Und Liebe vor dir lag.
An meine Mutter
Weil ich denn fühle, daß im Himmel
Die Engel, wenn in Liebe sie entbrennen,
Von allen heißen Liebesworten doch
Keins so voll Verehrung wie „Mutter“ kennen,
Drum war‘s dies Wort, mit dem ich lang dich ehrte –
Dich, die als Mutter über mich gewacht
Und nun das Herz mir füllt, wo Tod es leerte,
Als er Virginias Seele frei gemacht.
Die eigne Mutter, die ich früh verloren,
War nur die Mutter meiner selbst; doch du
Bist‘s jener Einen, der ich Lieb‘ geschworen,
Und mehr mir so, als die in Frieden ruh‘ &ndash
Um so unendlich viel, als mir mein Weib
War lieber als mein eigen Seel‘ und Leib.
Das ruhlose Tal
Einst lächelte ein friedliches Tal,
Aus welchem die Leute allzumal
Gezogen waren in stürmische Fernen,
Nachdem sie zu den gütigen Sternen
Gefleht, von ihren azurnen Türmen
Die Blumen im Tal zu pflegen und schirmen,
In deren Mitte den ganzen Tag
Das rote Sonnenlicht träge lag.
Jetzt raschelt es durch diesen Ort
Ruhlos, rastlos in einem fort.
Alles zittert und schauert –, bloß
Die Lüfte sind ganz bewegungslos.
Ach, von keinem Winde geschaukelt,
Nicht vom leisesten Zephyr umgaukelt,
Zucken die Bäume gleich den Fjorden
Im umnebelten, felsigen Norden.
Ach, von keinem Winde getrieben,
Jagen die Wolken und zerstieben
Über den Veilchen, die dort liegen,
Über den Lilien, die sich dort wiegen,
Die sich wiegen und neigen und schauern,
Über mystischen Gräbern trauern.
Sie schauern: ihre duftenden Seelen
Zittern in immerwährendem Leide.
Sie weinen: auf ihrem weißen Kleide
Schimmern die Tränen wie Juwelen.
Die Glocken
Hört die Schlittenglocken, die hellen,
Die fröhlichen, silbernen Schellen!
Wie sie klingen und klingen und klingen
Zu der Rosse feurigen Sprüngen.
Wie es ringsherum blinkt und blitzt,
Wie die Sterne glitzern und flinkern,
Daneben blinzeln und zwinkern
Halb verschmitzt –
Und im Mondlicht tanzen die Feyn
Einen seltsamen Runenreihn,
Bei den demantbestreuten Erlen
Zu den tönenden Silberperlen.
Und es klingt, klingt, klingt,
Und es dringt, dringt, dringt
Weithin, weit, weit, weit, weit,
Das klingende, das singende Geläut.
Hört die Hochzeitsglocken, die weichen,
Die goldenen, sangesreichen!
Wie sie wogen und wallen,
Wie sie schallen und hallen
In schmelzenden, schönen,
Verwehenden Tönen
Durch die schimmernde Nacht,
Während hoch im Blauen
Der Mond mit schlauen
Schalksaugen lacht.
Oh, welch brausende Wogen schwellen
Aus den tönenden, dröhnenden Zellen!
Hört, wie sie schwellen,
Wie sie entquellen
Den erzenen Kehlen,
Sich wonnig vermählen,
Anmutig erzählen
Von der Liebe, die bleibt,
Von der Lust, die sie treibt,
Sich zu schwingen, zu klingen
Weithin, weit, weit, weit, weit –
Mit tönendem, mit sehnendem Geläut!
Die Sturmglocken hört, aus Erz, aus Erz!
Wie zittert dabei das Menschenherz.
Von eisernen Fäusten gepackt,
Sausen sie aufwärts, scheuen
Wie wilde Rosse und schreien,
Und schreien und schreien und schreien
Einen gellenden Chor
Der Nacht ins Ohr
Ohne Takt.
Ihr eigenes, gespenstisches Grausen
Heulen sie aus und brausen
Im Klageruf an das Feuer,
Das
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