Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk
wahnsinnige Ungeheuer.
Und wälzen sich höher und höher,
Dem Monde näher und näher.
Vom hölzernen morschen Gerüste
Treibt sie ein tolles Gelüste.
Sie klirren zusammen und schwirren
Ins Blaue und irren und irren,
Und tollen und tollen und tollen,
Und rollen und rollen und rollen
auf den zuckenden Busen der Nacht
Ein bleiches, starres Entsetzen
Und wecken die Schläfer und hetzen
Sie aus der nächtlichen Ruh.
Die stürzen blindlings hinzu,
Mit stockendem Atem zu lauschen
Dem flutenden, ebbenden Rauschen
Der grausen Gefahr,
Aus dem ebbenden, flutenden Läuten
Den Grimm des Feuers zu deuten,
Mit fliegenden Pulsen zu hören,
Aus der Glocken Schallen und Gellen,
Aus dem rasselnden, klirrenden Schellen
Das furchtbare Wallen und Gäre
Der Feuersgefahr –
Und es jammert die zitternde Schar
In der Not, die so fürchterlich dräut,
Weithin, weit, weit, weit, weit –
Mit gellendem, zerschellendem Geläut!
Hört den eisernen Glockenklang!
Wie bang, wie bang, ein Trauergesang!
Oh, wie wir angstvoll schaudern und beben,
Wenn sie des Nachts die Stimmen erheben,
Wie wir den Himmel suchen mit scheuen,
Erschrockenen Blicken, wenn sie so dräuen!
Oh, wie erschauert unsere Seele,
Wenn sie so hoffnungslos gramvoll tönen,
Wenn jeder Laut ihrer rostigen Kehle
Ein Stöhnen!
Und im Turm allein
Jene knöcherne Sippe,
Jene fahlen Gerippe,
Allein, allein,
Es sind nicht Männer, nicht Weiber,
Nicht Tier- und nicht Menschenleiber,
Es ist Gebein!
Es sind nachtwandelnde Geister,
Und ihr König, das ist der Meister,
Und er zieht, und er zieht, und er zieht
Aus den Glocken ein schauerlich Lied,
Und er rollt mit teuflischer Lust
Auf die zuckende Menschenbrust
Einen Stein.
Und er zieht den ächzenden Strang
Zu einem Triumphgesang,
Und er jauchzt und jubelt wild,
Und sein fröhlicher Busen schwillt,
Und er tanzt zu den Melodeien
Einen fröhlichen Runenreihn
Und schwingt den ächzenden Strang
Zu einem Triumphgesang,
Und er schwingt, und er schwingt, und er schwingt
Auf und ab, auf und ab, auf und ab,
Und er winkt, und er winkt, und er winkt
In das Grab, in das Grab, in das Grab.
Und er tanzt und jubelt und streut
Weithin, weit, weit, weit, weit –
Das klagende, verzagende Geläut.
Die Schläferin
Ich steh um Mitternacht allein
Im mystisch weißen Mondenschein.
Dem vollen goldenen Gestirne
Entströmen feuchte Nebeldünste
Und fallen auf die blauen Firne
Wie silberweiße Lichtgespinste,
Um sich von dort melodisch leise
Und schläfrig langsam tropfenweise
Wie bunte, schimmernde Juwelen
In das entschlafne Tal zu stehlen.
Vom Grabe winkt der Rosmarin
Zu den schlaftrunknen Lilien hin.
Die wankenden Ruinen raffen
Erschauernd um die morschen Glieder
Ihr Nebelkleid und sinken nieder,
In alle Ewigkeit zu schlafen.
Der See dort – Lethe ist nicht stummer
Als er in seinem tiefen Schlummer.
Es ruht das All. Die Zweige nicken
Süß eingewiegt – wo aber liegt
Irene mit ihren Geschicken?
O wundersame, bleichwangige Dame!
Wie unbedacht: dies Fenster bei Nacht
So offen den Gästen, die von den Ästen
Mutwillig hüpfen, ins Zimmer schlüpfen;
Den Winden, den losen, fürwitzigen Rangen,
Die in den Gardinen sich lachend verfangen,
Und sie so unbändig und so beständig
Zerren und zausen dicht über den langen
Seidenen Wimpern auf deinen Wangen,
Daß über den Boden weg durch das Fenster
die Schatten fallen wie schwarze Gespenster.
O wundersame, bleichwangige Dame,
Wo kommst du her? Wohl gar übers Meer?
Und sage, warum nur bist du so stumm?
Ist dir wohl bang? Du bist so eigen,
Dein Haar ist so lang, so seltsam dein Schweigen!
Die Dame schläft. Oh, war so gut
Ihr Schlummer, wie er lange währt!
Der Himmel nehme sie in Hut.
Mag sie auf ewig ungestört,
In einem heiligeren Bette
An melancholischerer Stätte,
Wo sich Cypressen leise wiegen,
Mit festgeschloss‘nen Augen liegen.
Es schläft mein Lieb. Oh, daß so mild
Ihr Schlummer, wie er ewig ist!
Daß sich ihr eine Gruft erschließt
In einem Walde, dicht und wild!
Ein tiefes, ruhevolles Grab
An einem stillen Ort, fernab –
So eine fest verschloss‘ne Gruft,
Aus der sie fürder nichts mehr ruft,
Die Reue nicht, die Buße nicht,
Bis an das ewige Gericht.
An Helene
Helene, deine Schönheit ist für mich,
Was müden Wanderern ein Nachen, der
Sie sanft aus einem fernen Himmelsstrich
Hinüberleitet übers Meer
Zu heimatlicher Wiederkehr.
Von wilden Meeren, wo ich ohne Ruh
Umhertrieb,
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