Edgar Wallace - Der grüne Bogenschütze
zurückschaute, konnte er nur feststellen, daß Mr. Howett verschwunden war. Gleich darauf wurde er in das große Wohnzimmer gebeten und fand Valerie dort, die auf ihn wartete.
»Es ist allerdings sehr spät für einen Besuch, Miss Howett, aber ich muß etwas mit Ihnen besprechen. Durch die unglückliche Unterbrechung unserer Unterhaltung damals vergaß ich alles, was ich Ihnen sagen wollte.«
Sie mußte innerlich lächeln, denn sie hatte Julius schon längst verziehen. Sie amüsierte sich sogar, wenn sie an jene peinlichen fünf Minuten dachte.
»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Mr. Savini. Mein Vater hat sich schon zurückgezogen, er geht gewöhnlich sehr früh schlafen. Sie können mir in aller Ruhe berichten.«
Julius machte sich allerdings seine eigenen Gedanken über Mr. Howetts frühes Verschwinden, aber er behielt sie für sich.
»Ich möchte Sie fragen, ob Sie ein Taschentuch verloren haben« begann er. »Der alte Bellamy hat mir die strengste Anweisung gegeben, es herauszubringen. Er war heute abend ganz merkwürdig, als er erfuhr, daß Mr. Howett und Sie die neuen Bewohner von Lady’s Manor seien.« Dann erzählte er ihr alles, was sich zugetragen hatte.
Je weiter er sprach, desto mehr leuchteten ihre Augen auf.
»Dann stimmt es also doch! Und es muß wahr sein, wenn er sich so benommen hat – sein Gewissen scheint zu schlagen! Warum sollte denn nur die Nennung meines Namens ihn so aufregen?«
»Darüber habe ich mich auch sehr gewundert« entgegnete Julius. »Was ist denn Ihrer Meinung nach der Grund?« Aber sie beantwortete seine Frage nicht.
»Was wollten Sie wegen des Taschentuchs? Ich habe vor einer Woche eins verloren – es ist sogar schon länger als eine Woche her. Es ist eins von den sechs, die ich in Paris machen ließ. Haben Sie es gefunden?«
Er nickte.
»Es ist in Garre Castle gefunden worden« sagte er mit Nachdruck. »Und zwar in der Nacht, in der Bellamy auf den Grünen Bogenschützen geschossen hat – und es war ganz mit Blut durchtränkt!«
Sie sah ihn entsetzt an.
»Mein Taschentuch – in Garre Castle – das ist doch aber unmöglich!«
Er beschrieb das kleine dünne Tuch genau.
»Warten Sie einen Augenblick« sagte sie, ging aus dem Raum und kehrte nach kurzer Zeit mit einem Taschentuch in der Hand zurück.
Julius brauchte nur hinzusehen, um es sofort zu erkennen.
»Aber wie merkwürdig! Ich erinnere mich jetzt, daß ich es an dem Tag verlor, an dem ich Lady’s Manor besichtigte. Damals entschloß ich mich, meinen Vater zu bitten, das Haus zu mieten. Ich entdeckte den Verlust, als ich im Auto nach London zurückfuhr.«
»Sind Sie denn damals nicht in die Burg gegangen? Entschuldigen Sie, wenn ich diese Frage an Sie stelle, aber ich weiß doch, wie sehr Sie sich für Mr. Bellamy interessieren. Sind Sie nicht vielleicht irgendwie in die Nähe des Hauptgebäudes gekommen?«
»Nein« sagte sie sehr bestimmt. »Ich weiß ganz genau, daß ich es in Lady’s Manor selbst verloren habe. Ich erinnere mich, daß ich es bei mir hatte, als ich in das Haus ging.«
»Das ist alles, was ich heute berichten kann, Miss Howett.« Julius erhob sich. »Er hat mir sogar den Auftrag gegeben, ein anderes Taschentuch von Ihrem Dienstmädchen zu besorgen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, warum er plötzlich ein so großes Interesse an Ihnen hat.«
Er zögerte, als er in der Tür stand, und sie erinnerte sich; daß sie ihm Geld geben wollte.
»Aber das hat doch nichts zu sagen, Miss Howett« meinte er, als sie ihm einige Banknoten auf den Tisch zählte. »Ich möchte eigentlich kein Geld mehr von Ihnen annehmen.«
»Der Arbeiter ist seines Lohnes wert« erwiderte sie lächelnd. Aber er wußte nicht recht, ob er diese Äußerung als ein Kompliment auffassen durfte.
Als sie allein war, versuchte sie irgendeinen Entschluß zu fassen.
Ein großer Widerspruch war in Valerie Howetts Leben gekommen. Sie hatte sich die Ausführung eines Planes vorgenommen, der nach menschlichem Ermessen und Verstand nicht gelingen würde, der sogar äußerst gefährlich war. Und sie hatte sich trotz der dringenden Warnung Jim Featherstones dazu entschlossen. Sie war nicht so eigensinnig, daß sie gerade immer das Gegenteil von dem tat, worum er sie bat. Ihre gesunde Vernunft sagte ihr, daß die Burg für jeden ungebetenen Besucher einfach unzugänglich war. Schwer genug kam man schon in ein gewöhnliches Haus – wie konnte sie hoffen, in diese mit Schießscharten bewehrten Mauern einzudringen?
Weitere Kostenlose Bücher