Edgar Wallace - Der grüne Bogenschütze
als kleines Kind durch einen Fall zuzogen?« wiederholte Abel Bellamy langsam. Und plötzlich wurde ihr klar, warum er sie eingeladen hatte. Er wollte unter allen Umständen Gewißheit haben.
Er brachte seine Gäste in die Bibliothek zurück. Sein Interesse, das Schloß zu zeigen, schien verschwunden zu sein. Er meinte, es sei außerdem nicht mehr viel zu sehen.
»Sie haben uns aber die unterirdischen Kerker noch nicht gezeigt, Mr. Bellamy« sagte Spike.
»Nein, das habe ich nicht getan. Ich dachte, Miss Howett hätte kein Interesse an diesen schauerlichen Stätten – oder möchten Sie sie doch sehen?«
»Ich würde sie ganz gerne sehen.« Ihre Stimme verriet ihre Erregung und sie hatte Mühe, sich zusammenzunehmen.
»Nun gut, dann kommen Sie mit – aber sie sind nicht mehr so fürchterlich wie früher« sagte Abel.
Er führte sie wieder zu der großen Halle und ließ sie dort einige Augenblicke warten, während er zu Savinis Zimmer ging, um die Schlüssel zu holen. Julius schloß sich ihm zögernd an, obwohl er eigentlich fürchtete, jeden Augenblick fortgeschickt zu werden. Aber Bellamy hatte scheinbar nichts gegen seine Anwesenheit einzuwenden.
Er führte sie wieder durch die Gemäldegalerie und dann durch eine schmale Tür zu einem quadratischen, steinernen Raum, der nach seiner Erklärung früher der alte Wachtraum der Burg gewesen war. In alten Zeiten hatte er einen Ausgang ins Freie, aber jetzt war die Tür zugemauert. Von dieser Steinkammer aus führte eine Wendeltreppe in ein unterirdisches Gewölbe.
»Ich werde Licht machen« sagte Bellamy. Er drehte die elektrischen Schalter an und sie sahen, daß sie in einem großen Raum waren, dessen Bogen von drei starken Pfeilern getragen wurden. »Das war das Hauptgefängnis« sagte der alte Mann. »Alle möglichen Leute wurden hier gefangen gehalten. Sehen Sie die Ringe dort an den Pfeilern, Miss Howett? Daran wurden die Menschen angekettet.«
»Wie schrecklich!« rief sie. Er lachte belustigt.
»Aber dies ist noch ein Paradies gegen jene kleinen Kerker dort unten.«
An dem Hinteren Ende des gewölbten Raumes blieb er stehen und öffnete eine schwere, steinerne Falltür.
»Wenn Sie hinuntergehen wollen, dann können Sie recht grauenvolle Zellen sehen. Aber ich würde Ihnen nicht dazu raten. Die Treppe ist sehr steil und ausgetreten, und Sie müssen ein Licht mitnehmen.«
»Ich möchte sie doch gerne sehen« sagte sie, und Bellamy schickte Savini zurück, um eine Laterne zu holen.
Unten befanden sich vier Einzelzellen, von denen zwei sehr groß waren. Aber die beiden anderen waren nicht größer als Hundehütten, nicht hoch genug, daß ein Mann aufrecht darin stehen konnte, und nicht lang genug, daß sich jemand bequem darin ausstrecken konnte. Und doch erzählte er ihnen, daß in diesen grabähnlichen Löchern Männer und Frauen jahrelang leben mußten. Er zeigte ihnen auch in die Steinwände eingemeißelte Inschriften von fremdartigem Charakter.
»Diese Steinbänke dienten den Gefangenen als Bett. Wenn Sie hinsehen, werden Sie finden, daß sie ganz glatt gerieben sind von den Körpern der Leute, die hier jahrelang geschlafen haben, bis die Steine ausgehöhlt wurden.«
Valerie starrte entsetzt auf die Felsen.
»Was für schreckliche Bestien waren doch diese alten Curcys, die menschliche Wesen so behandeln konnten« rief sie aus.
»Ich weiß nicht, was Sie dagegen haben. Das war doch wenigstens noch etwas« entgegnete Bellamy.
»Warum hat man sie denn dann nicht lieber gleich umgebracht?«
»Dann hätte man sie doch nicht mehr gefangenhalten können! Wozu sollte denn das dienen? Nahmen Sie doch einmal an, Sie hassen einen Mann – welchen Zweck hat es denn, ihn umzubringen? Dann ist er Ihnen doch entgangen! Sie wollen ihn doch irgendwo festhalten, wo Sie hingehen, ihn sehen und sich an seiner Qual weiden können?«
Sie antwortete ihm nicht.
»So, das wäre nun alles, was ich Ihnen in der Burg zeigen kann, es sei denn, daß Sie noch Gasherde, oder Türme, oder leerstehende Räume sehen wollen.«
»Was ist denn das?«
Sie zeigte auf ein tiefes Loch in dem Boden. Die rauhen Seiten der Vertiefung zeigten den bloßen Felsen, aus dem es ausgehöhlt war. Er schaute lächelnd nach oben, und sie folgte seinen Blicken. An der Decke war ein Balken befestigt, ähnlich dem, den sie oben an der Burgkapelle gesehen hatte. Sie schloß die Augen.
»Man hat früher nur ein paar Leute draußen gehängt, aber sehr viele hier unten« sagte Abel
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