Edgar Wallace - Der grüne Bogenschütze
Koch konnte ihr keine Auskunft darüber geben.
Nach all den Erfahrungen der letzten Zeit sah Valerie ihrem Besuch in Garre Castle mit gemischten Gefühlen entgegen. Sie hatte noch niemals mit Abel Bellamy gesprochen, obwohl sie ihn oft genug gesehen hatte. Sie war gespannt, ob sie wohl fähig sein würde, den Haß und Widerwillen, den sie gegen ihn fühlte, nicht durch ihren Gesichtsausdruck oder durch ihre Blicke erkennen zu lassen. Sie hätte ihn schon früher öfter sprechen können, aber aus Furcht, sich selbst zu verraten, hatte sie jede Begegnung mit ihm vermieden. Ein Zusammentreffen mit ihm erschien ihr jetzt weniger schrecklich, weil sie vollständig mit der Entdeckung beschäftigt war, die sie heute morgen über Jim Featherstone gemacht hatte.
Ihre Gedanken verwirrten sich immer weiter, je mehr sie darüber nachdachte. Welchen Zweck konnte er damit verfolgt haben? Vergeblich suchte sie nach einer Erklärung. Wenn Bellamy von der Polizei verdächtigt wurde, gab es doch genug andere Mittel und Wege, ihn zu beobachten? Sie kannte die Methoden der Polizei und wußte, daß die Behörden nicht zögern würden, in Garre Castle eine Haussuchung vorzunehmen, wenn sie begründeten Verdacht gegen Bellamy hätten. Warum maskierte er sich denn als Grüner Bogenschütze? Sie schüttelte hoffnungslos den Kopf und war froh, als Spike kam, um sie abzuholen.
Julius Savini erwartete sie in dem Pförtnerhaus.
»Bellamy hat nichts von Ihnen erwähnt, Mr. Holland« sagte er. »Es ist wohl besser, daß ich Ihretwegen erst nach oben telephoniere.«
»Unterlassen Sie das« erwiderte Spike. »Ich kann nicht gestatten, daß Miss Howett ohne meine Begleitung Garre Castle betritt. Ich habe eine Verantwortung für sie übernommen, die ich keinem anderen überlassen kann, Savini.«
Julius erlaubte schließlich dem Zeitungsreporter, Valerie zu begleiten. Offenbar hatte auch Bellamy mit seinem Besuch gerechnet, denn er zeigte sich nicht im mindesten verwundert, als er Spike sah.
Er kam aus der Halle und begrüßte Valerie. Sie nahm sich zusammen und schaute ihm voll ins Gesicht, obwohl sie entsetzt war über seine außerordentliche Häßlichkeit, sein rotaufgedunsenes Gesicht, seine unförmige Gestalt und die unheimliche Stärke, die sich in seinen breiten Schultern ausdrückte. In diesem Augenblick konnte sie ihn nicht hassen. Es war etwas Übermenschliches in seiner Erscheinung, das seine vielen Verbrechen und Vergehen, seinen unermeßlichen Haß und seine Bosheit erklärte. Dies Gefühl empfand Valerie, als sie Abel Bellamy zum erstenmal gegenüberstand.
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» I ch freue mich, daß Sie gekommen sind, Miss Howett.«
Ihre kleine Hand verschwand vollständig in seiner großen Rechten. Er ließ sie nicht aus den Augen und beobachtete sie dauernd.
»Ich möchte nicht unhöflich gegen meine Nachbarn sein« sagte er. »Wenn ich gewußt hätte, daß Sie hier wohnten, hätte ich Sie schon eher gebeten, mich zu besuchen.«
In dem Ostflügel des Schlosses, in dem auch der wenig benutzte Speisesaal lag, befand sich eine lange Gemäldegalerie, in der viele Werke alter Meister hingen. Spike hatte nicht vermutet, daß Bellamy die Kunst liebte.
»Ich wußte nicht, daß Sie Bilder sammeln, Mr. Bellamy.«
Der alte Mann sah Holland schnell an.
»Ich habe in meinem Leben nur Geld gesammelt« sagte er dann einsilbig. »Ich kaufte diese Gemälde mit der Burg. Sie kosten eine halbe Million Dollars und man erzählte mir, daß sie die doppelte Summe wert seien. Miss Howett, betrachten Sie einmal dieses Bild. Es ist bekannt unter dem Namen ›Die Dame mit der Narbe‹.«
Es war ein Gemälde der niederländischen Schule und stellte eine schöne Frau mit entblößtem Arm dar, an dem man eine Narbe sehen konnte.
»Die meisten Damen würden sich nicht so malen lassen« sagte er. »Aber ich hörte, daß dieser Niederländer immer alles genau so darstellte, wie er es in Wirklichkeit sah. Eine junge Dame in unseren Tagen wurde anders darüber denken, nicht wahr?« wandte er sich an Valerie.
Es war eine Herausforderung und sie ging sofort darauf ein.
»Ich weiß nicht, ob ich etwas dagegen hätte« erwiderte sie kühl. »Ich habe selbst eine Narbe an meinem linken Ellenbogen, die sehr wohl zu sehen ist. Als ich noch ein kleines Kind war, fiel ich und verletzte mich an der Stelle.«
Sie bedauerte, daß sie sich dazu hatte hinreißen lassen, das zu sagen, aber ihre Reue dauerte nur kurze Zeit.
»Sie haben eine Narbe am linken Ellenbogen, die Sie sich
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