EduAction: Wir machen Schule (German Edition)
»Natur-Defizit-Störung« geprägt. In seinem Buch, für das er mit 3000 Kindern und Eltern gesprochen hat, beschreibt er eine Generation, die sich zwar mit Umwelt- und Klimaschutz beschäftigt und sich im Internet über die Abholzung des Regenwaldes informiert, die aber kein ungestörtes, selbstmotiviertes Spielen in der freien Natur, kein von Erwachsenen unreglementiertes Herumstromern in Wald und Wiesen kennt.
Er erklärt, wie die Natur die Kreativität und Neugierde fördert, die Wahrnehmung schärft und wie sie dazu beiträgt, dass ein Kind die in ihm angelegten Potenziale entdecken, spielerisch ausprobieren und entwickeln kann. Und er weist darauf hin, dass die Forschung zunehmend einen Zusammenhang zwischen unserer mentalen, körperlichen und spirituellen Gesundheit und primären positiven Naturerlebnissen herstellt. Schließlich beschreibt er aber auch Maßnahmen, die wir ergreifen können, und nennt Best-Practice-Beispiele. In den USA, wo es zugegebenermaßen weitaus größere Probleme mit Fettleibigkeit schon bei Kindern gibt, hat sein (bereits 2005 erschienener) Bestseller die sogenannte »No Child left inside«-Bewegung befeuert, die sich dafür starkmacht, Kindern eine solche Draußen-Erfahrung und Natur-Alphabetisierung zu ermöglichen.
Spiele nehmen den Kindern die Berührungsängste: Wenn wir Räuber und Gendarm spielen, rennen sie durch den Wald und springen über Sträucher, wo sie sonst auf dem Weg geblieben wären. Oder sie verstecken sich hinter einem Strauch und bleiben auch dann sitzen, wenn etwas über sie drüberkrabbelt, weil sie nicht entdeckt werden wollen. So erweitern wir die Komfortzone.
Annika Mersmann, Wildnispädagogin
Mit dem Projekt Herausforderung hat die esbz bereits Räume geschaffen, die Jugendlichen Naturerfahrung ermöglichen können. Vorausgesetzt natürlich, sie haben eine entsprechende Aufgabe gewählt – wie 2010 die elf Jungen, die 380 Kilometer auf dem Benediktusweg in Thüringen wanderten. Oder David und Merlin, die drei Wochen in den Alpen verbrachten: »Die beiden befinden sich gerade in der wahrscheinlich intensivsten Phase ihrer Herausforderung«, mailte Timothy Campling, Vater des einen Jungen. »Sie leben seit einigen Tagen in ihrem selbst gebauten Unterschlupf im Wald und ernähren sich von dem, was sie dort finden und was sie in den Wochen davor gelernt haben. Sie sind wohlauf und begeistert und melden sich täglich.«
Drei andere Jungs halfen in Südfrankreich, wo es einen Flächenbrand gegeben hatte, Hunderte Bäume zu entkohlen, damit diese wieder ausschlagen können. In Berlin können sie nicht ohne ihre Handys leben, aber dort gab es keinen Empfang. Und in der Steinhütte, in der sie drei Wochen abseits der Zivilisation wohnten, gab es weder Strom noch warmes Wasser. Anschließend erzählten sie, es wäre großartig gewesen und es hätte ihnen dort gar nichts gefehlt.
Es geht um einen achtsamen Umgang mit der Natur, der eine Verbindung mit ihr ermöglicht anstelle ihrer Kriminalisierung, die an immer mehr Orten zu beobachten ist: etwa im Naturschutzgebiet, wo man nichts berühren, oder in der Grünanlage, die nicht betreten werden darf.
Annika Mersmann, Wildnispädagogin
Um solche Erfahrungen auch im Schulalltag zu ermöglichen, hat die esbz eine Sozialpädagogin mit Zusatzqualifikation Wildnis pädagogik eingestellt, die an drei Tagen pro Woche einen Kurs Naturverbindung und Gemeinschaft anbietet. »Am Anfang, als ich Leute kennengelernt habe, die in einem Tipi überwintern wollten, habe ich mich gefragt: Wofür braucht man das überhaupt?«, gibt Annika Mersmann zu. »Man kann sich auch fragen: Wozu soll ich Vögel kennen, was bringt mir das?« Sie selbst ist als Kind zu den Pfadfindern gekommen, leitete als Jugendliche eine eigene Gruppe und lebte als Erwachsene ein Jahr lang in den USA in der Wildnis – mit sechs anderen mutig Entschlossenen und sehr eingeschränkter Ausrüstung. Heute sagt sie: »Was ich erkenne, im Herzen, nicht vom Kopf her, damit fühle ich mich verbunden. Es ist, als habe ich plötzlich ganz viele Anker um mich herum, die mich erden, die mich einen Moment innehalten lassen.« Wildnispädagogik bedeutet für sie, die Verbindung zur Natur, zu sich selbst und zu ihren Mitmenschen zu stärken. An der esbz arbei tet sie daran in verschiedenen Formaten.
Jugendliche der Stufe 7 bis 9 können Naturerfahrung als wöchentlich zweistündige Werkstatt wählen. Das stellt die Pädagogin vor die Herausforderung, Natur in der
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