EduAction: Wir machen Schule (German Edition)
das die Schüler zuvor in ihren Klassenstunden einstudiert haben. Und für alle Geburtstags kinder der Woche, die nach vorne auf die Bühne geholt werden, schmettert das Plenum »Happy Birthday«. Einige Schüler bereiten Fürbitten vor, die sie beispielsweise für die Opfer der Katastrophe in Fukushima sprechen. Und alle gemeinsam beten das Vaterunser – nachdem es zuerst auf der Bühne von einem Kind in einer fremden Sprache vorgetragen wurde (jede Woche in einer anderen Sprache, wir sind bei 19 Sprachen angelangt).
Und schließlich hat jeder die Möglichkeit, etwas beizutragen, was er sich selbst überlegt hat. Da steht dann Antonia, eine Elftklässlerin mit einer unglaublichen Stimme, auf der Bühne und singt mit vier Siebtklässlern »Oh happy day«, dass uns die Tränen in den Augen stehen. Oder zwei Jungs bringen mit ihrem rhythmischen Beatboxing alle zum Jubeln. Neulich hat eine Schülerin für eine Freundin ein Lied zum Geburtstag gesungen, das sie selbst gedichtet hatte. Eigentlich ein sehr selbstbewusstes Mädchen, aber die Aufregung war ihr anzusehen. Danach haben alle dreimal geklatscht – solchen Applaus bekommt bei uns, wer besonders mutig ist. Dafür gibt es meist noch einmal ein großes Lob.
Dadurch, dass die wöchentliche Versammlung ein festes Lernarrangement ist, bietet es auch Raum für mehr: Es können Projektergebnisse vorgestellt, Ergebnisse aus der Herausforderung gezeigt oder auch eine Lesung veranstaltet werden. Da wird der 100 000. Baum gefeiert, den die Kinder im Rahmen ihres Versprechens auf dem eigenen Schulhof pflanzen. Da werden »Menschen mit Botschaften« eingeladen, um von ihren Erfahrungen zu berichten. Und das Format bietet der Schulleitung die Möglichkeit, rasch und unkompliziert Dinge anzusagen oder auch eine außerordentliche Versammlung einzuberufen.
Loben hat sehr viel mit dem Selbstkonzept zu tun: Was kann ich? Was sind meine Stärken? Aber auch die Schwächen auszuloten und zu merken, dass man hier Fehler machen und daraus lernen darf. Wichtig ist für mich, dass das Lob echt ist und der andere merkt, dass es von Herzen kommt.
Mandy Voggenauer, Lehrerin für Naturwissenschaften
Zum Halbjahres- und zum Schuljahresende wird die Schulversammlung zur Auszeichnungsversammlung, dann gibt es besonderes Lob in Form von Urkunden. Und beim Verantwortungsfest, dem Abschlussfest vom Projekt Verantwortung, werden besondere Leistungen von Kindern, die Verantwortung gezeigt haben, gefeiert. »Ich bin da sehr mit meinem Herzen dabei, aber für mich ist ein Lob genauso wichtig, wie eine Auszeichnung zu überreichen«, sagt Mandy Voggenauer. »Aber für die Kinder ist es schon wichtiger, eine Urkunde zu bekommen, denn die ist sichtbar, die können sie der Oma zeigen und abheften, daran kann jeder sich Monate später noch mal erfreuen.« Auch alle Lehrer werden bei der Auszeichnungsversammlung von der Schulleitung ausgezeichnet.
Es ist sehr schön zu beobachten, wie die Schüler von Mal zu Mal mutiger werden und sich trauen, bei der Schulversammlung nach vorne auf die Bühne zu gehen. In der Regel sind übrigens die Schüler mutiger als die Lehrer. Ein Lehrer geht zwar auf die Bühne und macht mühelos eine Ansage, aber dort etwas von sich persönlich zu sagen, das ist für viele schon ein großer Schritt. Und wenn das vorkommt, ist höchste Aufmerksamkeit im Raum.
Naturerfahrung und Gemeinschaft: Neue und fast vergessene Wege zur Potenzialentdeckung
Natur kann man nicht aus zweiter Hand erfahren. Im Fernsehen ist der Bach nicht nass, der Waldboden duftet nicht, da fehlt die sinnliche Erfahrung. Wer schon einmal Kinder beim Spielen in der freien Natur beobachten konnte, der wird gesehen haben, was für ein Experimentierfeld voller Schätze sie für sie ist. Wenn jedoch diese Primärerfahrung fehlt, fehlen auch die entsprechenden Bahnen im Gehirn – nach dem Prinzip: »Use it or loose it«. Und in genau diese Richtung droht sich unsere Gesellschaft mit zunehmender Mediatisierung zu entwickeln. Es wächst bereits eine Generation heran, in der es Kinder gibt, die aus erster Hand nur noch Technikerfahrungen machen und deren Kontakt mit der Natur – wenn es ihn denn überhaupt noch gibt – sich auf gelegentliche Besuche im Park oder im Streichelzoo beschränkt.
Richard Louv, der US-amerikanische Umweltaktivist und Autor des wachrüttelnden und für manchen vielleicht auch provozierenden Buches Das letzte Kind im Wald? [25] , hat dafür den neuen Begriff
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