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Egeland, Tom

Titel: Egeland, Tom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frevel
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keine Ahnung!« Jetzt fauche ich ihn beinahe an. »Und ehrlich gesagt, interessiert es mich auch nicht besonders.«
    » Aber haben Sie jemals darüber nachgedacht? War es die Brutalität der eigentlichen Kreuzigung? War es die Tatsache, dass Gott seinen eigenen Sohn geopfert hat? Oder dass Jesus sich opfern ließ? Für die Menschen? Für Ihre und meine Schuld? Für die Erlösung unserer Seelen? «
    » MacMullin, ich bin nicht gläubig. Ich habe mir nie darüber Gedanken gemacht. «
    » Aber Sie können doch trotzdem Ihre Gedanken mit mir teilen. Was war an dieser Kreuzigung, das eine ganze Religion erschaffen hat? «
    » Vielleicht die Tatsache, dass Jesus von den Toten auferstanden ist? «
    » Genau, exakt das ist es. Alles beginnt mit der Kreuzigung! Unsere ganze westliche Kultur beginnt mit der Kreuzigung. Und der Auferstehung! «
    Ich versuche, seinen Gesichtsausdruck zu deuten – was er meint, worauf er hinauswill.
    » Die Kreuzigung … Versuchen Sie sich das vorzustellen , Bjørn! « Seine Stimme klingt zerbrechlich, flüsternd. Sein Blick ist erfüllt von Bildern, die nur er sieht: » Jesus wird von seinen römischen Wächtern nach Golgatha getrieben. Er ist erschöpft. Die Haut auf seinem Rücken ist von den Peitschenhieben zerfetzt. Die Dornenkrone ritzt die Haut, Blut mischt sich mit Schweiß und zieht hellrote Streifen über seine Wangen. Die Haut ist fahl, die Lippen sind trocken. Die Zuschauer verspotten ihn lauthals. Schrille Stimmen schreien auf ihn ein, verhöhnen ihn. Einige weinen voller Mitleid, wenden sich ab. Die Gerüche … der Duft von den Feldern und Hainen mischt sich mit dem herben Gestank der Kloaken, dem Urin und dem Schweiß, dem Gestank der Ziegen und Esel. Über der Schulter trägt Jesus den Querbalken, an den eine seiner Hände gebunden ist. Er taumelt unter dem Gewicht. Manchmal fällt er auf die Knie, aber die Soldaten zerren ihn jedes Mal wieder brutal und ungeduldig auf die Beine. Als sie Simon von Kyrene sehen, zwingen die Soldaten ihn, für Jesus das Kreuz zu tragen. Etwas später kommen sie an einer Gruppe weinender Frauen vorbei. Jesus bleibt stehen, tröstet sie. Sehen Sie es vor sich? Können Sie sich in die Situation hineinversetzen? Die Atmosphäre ist geladen, elektrisch … Endlich auf Golgatha angekommen, bekommt Jesus Wein, gemischt mit beruhigender, betäubender Myrrhe. Aber er nimmt nur einen kleinen Schluck. «
    MacMullin bleibt stehen, seine Augen wirken abwesend.
    Ich liege still im Bett.
    » Dann nageln sie ihn ans Kreuz «, sagt er.
    » Ja «, erwidere ich schließlich, um die Stille zu durchbrechen.
    MacMullin räuspert sich, ehe er weiterspricht. » Jemand hat seinen Namen ins Kreuz geritzt. › Jesus, König der Juden ‹. Noch während er mit schmerzverzerrtem Gesicht am Kreuz hängt, verlosen die Soldaten untereinander seine Kleider.
    Stellen Sie sich das vor. Sie verteilen seine Kleider. Während er dort wie ein Schlachtopfer hängt und alles beobachtet. Sie teilen seine Kleider unter sich auf und bleiben dann sitzen und halten Wache. Zu irgendeinem Zeitpunkt ruft er voller Verzweiflung nach seinem Vater und bittet ihn, jenen zu verzeihen. Erschöpft, mit kaum noch hörbarer Stimme, spricht er dann zu seiner Mutter Maria, die von drei Frauen getröstet wird, darunter Maria Magdalena. Die Zuschauer, Priester und Schriftgelehrten –ja sogar die beiden Räuber, die rechts und links neben ihm gekreuzigt wurden –beginnen, ihn zu verspotten, und fordern ihn auf, sich doch selbst aus seiner misslichen Lage zu befreien. Dann, Bjørn, senkt sich eine Dunkelheit über das Land. Vielleicht sind es heraufziehende Wolken, vielleicht verfinstert sich die Sonne. Jesus ruft: › Mein Gott! Mein Gott! Warum hast du mich verlassen? ‹ Vielleicht fegt eine Windböe über das Land, vielleicht zittert sie aber auch nur still in der Hitze. Wir wissen es nicht. Jemand holt einen Schwamm mit Essig, befestigt ihn an einer Stange und lässt ihn trinken. Jesus sagt: › Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! ‹ Dann stirbt er. «
    MacMullin sieht auf die Uhr. Ohne meinem Blick zu begegnen, erhebt er sich und geht zur Tür. Sie ist schwer. Das Holz ist dekoriert mit geschnitzten Blumenranken.
    » Wohin gehen Sie? «, rufe ich ihm nach.
    Er öffnet die Tür und dreht sich zu mir um.
    Verwirrt frage ich ihn: » War das alles? «
    » Alles? «
    » Warum haben Sie mir das alles erzählt? «, frage ich.
    » Bjørn, denken Sie einmal folgenden Gedanken … «
    Er zögert,

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