Egeland, Tom
können Sie wohl sagen, Kamerad. In diesem Punkt haben wir uns geirrt. «
Eine Schwester kommt mit einem Becken herein, macht aber auf dem Absatz kehrt, als sie MacMullin erblickt.
» Ich verstehe noch immer nicht, was sich in dem Schrein befinden soll, das von solch unschätzbarem Wert sein kann «, sage ich. » Oder ist es der Goldwert, der dieses Interesse ausgelöst hat? Ist es so einfach? «
» Der Schrein ist bloß eine Hülle. Verpackung. «
» Dann … «
» Es ist der Inhalt, Bjørn, der Inhalt! «
» Der aus was besteht? «
» Wissen. «
» Wissen? «, wiederhole ich fragend.
» Wissen. Information. Worte. «
» Ein Manuskript? «
» Das nur in den richtigen Händen wirklich wertvoll ist. «
» In Ihren? «
» Nicht einmal in meinen. Ich habe bloß die Schlüssel zum Verständnis. «
» Ich verstehe noch immer nicht, was Sie andeuten wollen. «
» Denken Sie nach. Ein Manuskript! «
» Dann ist es doch Q? « Die Frage dringt wie ein Seufzen aus mir. Sie klingt so enttäuscht. Nach allem, was ich durchgemacht habe, hatte ich etwas Handfesteres erwartet. Jesu Dornenkrone. Einen Splitter vom Kreuz.
» Ein Manuskript «, wiederholt er still, andächtig. » Eine handgeschriebene Überlieferung. Aber ohne das rechte Verständnis ist es nur ein zweitausend Jahre altes historisches Artefakt. Das Manuskript muss mit den richtigen Augen gelesen werden, damit man es verstehen kann. «
» Zweitausend Jahre «, sage ich.
» Das Manuskript wurde tausend Jahre lang gut gehütet, ehe es die Johanniter in ihre Obhut nahmen. Die Herrenmeister bewahrten es persönlich in ihren Burgen auf, bis es um das Jahr 300 im Heiligkreuzkloster bei Jerusalem versteckt wurde. Wir wissen, dass es mehrere Versuche gab, den Schrein zu stehlen. Die Angst davor, der Schrein könnte in Diebeshände gelangen, war vermutlich der Grund dafür, dass der Johanniterorden einbezogen wurde. Uneinigkeit unter den Johannitern über das Schicksal des Manuskripts führte schließlich zur Spaltung des Ordens. «
» Das Manuskript? Was verrät es? «
MacMullins Gesicht sieht so, wie er jetzt sitzt, beinahe durchsichtig aus. Unter der Haut erkenne ich ein Netzwerk feiner Adern. Würde das Licht anders in den Raum fallen, könnte ich vielleicht direkt durch ihn hindurchblicken. Er öffnet den Mund, um leichter atmen zu können. Er ist de r H üter eines Geheimnisses, das er nur unter größten Schwierigkeiten verraten kann.
Ich sage: » Zweitausend Jahre … Darf ich raten? Es hat mit Jesus zu tun. Dem historischen Jesus? «
Seine Lippen verziehen sich zu einem Lächeln. » Sie haben definitiv mit Peter gesprochen. «
» Und jetzt wollen Sie, dass ich glaube, Peter habe nicht auf Ihre Anordnung hin gehandelt? «
MacMullin starrt mich an.
» Und dass er mir nicht genau das anvertraut hat, was er sagen sollte? «, fahre ich fort. » Mich mit Fakten und Halbwahrheiten abgespeist hat? «
Mit einer koketten Miene legt MacMullin den Kopf zur Seite. Er schnalzt mit der Zunge. Aber noch lässt er meine Anschuldigungen unbeantwortet.
» Ich glaube, Ihnen gefällt dieses Spiel «, sage ich. Ein Anflug von Wut hat sich in meine Stimme geschlichen.
» Spiel? «
» Falsche Fährten! Lügen! Andeutungen! Geheimniskrämerei … Das alles ist doch ein Spiel für Sie. Ein Wettkampf. «
» In dem Fall sind Sie ein würdiger Gegner. «
» Danke. Aber Sie haben mich nie über die Spielregeln aufgeklärt. «
» Das mag schon sein. Aber Sie lassen sich nicht täuschen. Das gefällt mir. «
Er drückt die Fingerkuppen gegeneinander. » Mein junger Freund, haben Sie sich jemals die Frage gestellt, wer Jesus Christus war? «
» Nein! «, falle ich ihm ins Wort.
» Wer war er eigentlich? « Er sieht mich an. » Gottes eingeborener Sohn? Der Erlöser? Der Messias, König der Juden? Oder war er ein Philosoph? Ein Ethiker? Ein Aufrührer? Ein Geißler? Ein Politiker? «
Er erwartet wohl kaum eine Antwort. Ich gebe sie ihm auch nicht.
» Einige würden vermutlich sagen, er war von allem etwas und vielleicht noch ein wenig mehr «, sagt er.
» Ich verstehe nicht, auf was Sie hinauswollen. Peter hat diese Übung mit mir schon absolviert. Er hat alles illustriert und erzählt. Sie müssen das nicht wiederholen. Kommen Sie auf den Punkt. «
Meine Ungeduld ficht ihn nicht an.
» Warum «, fragt er, » gilt die Kreuzigung als das einzigartige Geschehnis in der Geschichte der Menschheit, das den größten Eindruck auf uns alle gemacht hat? «
»Ich habe
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