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Egeland, Tom

Titel: Egeland, Tom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frevel
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entlassen. Mama holt mich in ihrem Mercedes ab und begleitet mich bis hinauf in die zehnte Etage.
    ∗ ∗ ∗
    G egen Ende Juni fahre ich wieder zurück ins Sommerhaus am Meer. In die Ferien, diesmal. Auf dem Weg komme ich am Kloster Værne vorbei. Alles ist weggeräumt. Der Bauer hat unsere Abraumhügel planiert und neues Getreide angesät.
    Nur der Schacht rund um das Oktogon ist noch mit orangefarbenen Plastiknetzen abgesperrt. Die Heimatschutz-Behörden grübeln noch immer darüber nach, was sie mit dieser frühchristlichen Kulturstätte machen sollen.
    Als ich die Tür des Sommerhauses öffne, ist es fast so, als schlage mir der Duft von Dianes Parfüm entgegen. Ich bleibe wie angewurzelt stehen, die Hand noch auf der Klinke. Fast warte ich darauf, ihre Stimme zu hören, » Hi, honey, you ’ re late! « , und einen nassen Kuss auf die Wange zu bekommen. Doch als ich die Augen öffne und einatme, riecht es nur abgestanden und staubig.
    Still schlendere ich von Raum zu Raum, ziehe die Gardinen zur Seite, wische die toten Fliegen weg, stelle die Fenster schräg und drehe mit gewissen Mühen zum ersten Mal seit dem Winter das Wasser an.
    Dann lasse ich die Ferien über mich kommen, schwer und träge und warm.
    Sonnenerfüllte Tage und laue Abende verbinden sich zu einer harmonischen Langeweile.
    ∗ ∗ ∗
    I ch habe mich auf die Terrasse in die Sonne gesetzt, in Khakishorts und Sandalen. Im Radio leiern sie die Wassertemperaturen herunter. Es ist sehr warm. In der Ferne schweben die Bolærne-Inseln im Dunst. Direkt gegenüber auf der anderen Seite des Fjordes sind Horten und Åsgårdstrand als unruhige Punkte an dem blauen Küstenstreifen zu erkennen. In mir ist eine tiefe Ruhe. Ich habe mir ein kaltes Bier geholt und öffne es mit einem Schraubenzieher. Ein paar jugendliche grölen und schreien unten am Sprungturm. Kreischend lässt sich ein Mädchen ins Wasser fallen. Ein Junge springt hinterher. Mit einer müden Bewegung vertreibe ich eine Wespe, die ein unpassendes Interesse für mein Bier zeigt. Zwei Seeschwalben lassen sich vom Wind tragen.
    Einer Eingebung folgend, rappele ich mich auf und gehe hinunter zum Gartentor, um nach der Post zu sehen. Zwischen Reklamebroschüren und verblichenen Informationsschreiben der Gemeinde finde ich einen großen, braungelben Umschlag. Es ist schwer zu sagen, wie lange er dort schon liegt. Es steht kein Absender auf dem Umschlag. Aber er ist in Frankreich abgestempelt worden.
    Wie im Nebel nehme ich den Umschlag mit in mein altes Kinderzimmer, öffne ihn mit einer Nagelschere und lasse den Inhalt auf den Schreibtisch gleiten.
    Ein kurzer Brief. Ein Zeitungsausschnitt. Eine Fotografie.
    Der Brief ist handgeschrieben, die Schrift knotig, verschnörkelt:
    R ennes-le-Château, 14. Juli
    Sehr geehrter Herr B. Beltø!
    ∗ ∗ ∗
    S ie kennen mich nicht, aber mein Name ist Marcel Avignon, und ich bin pensionierter Landarzt hier in Rennes-le-Château. Ich wende mich heute an Sie auf Bitte eines gemeinsamen Freundes, Michael MacMullin, der mir Ihren Namen und Ihre Sommeradresse gegeben hat. Es schmerzt mich, Ihnen sagen zu müssen, dass Grandseigneur MacMullin in der Nacht zum heutigen Tag verstorben ist. Er ging nach einer kurzen, zum Glück schmerzlosen Krankheit gegen halb fünf am Morgen friedlich von uns. Gemeinsam mit seiner geliebten Tochter Diane war ich in seinen letzten Stunden bei ihm. Es war eine seiner letzten Handlungen, mich zu instruieren, was ich Ihnen schreiben solle und welche Anlagen der Brief enthalten müsse. Des Weiteren sagte er, dass Sie (ich bemühe mich, richtig zu zitieren), » als der harte Brocken, der er ist, mit den Informationen schon das tu n w ird, was er für richtig hält « . Erlauben Sie mir hinzuzufügen, dass er diese Worte mit einer Hingabe sprach, die mir verriet, dass es sich bei Ihnen um einen Freund handeln muss, den er unermesslich schätzte. Deshalb ist es mir eine große Ehre und Freude, diesen kleinen Wunsch, um den mich Herr MacMullin bat, zu erfüllen, und Ihnen einen Zeitungsausschnitt sowie eine Fotografie zu senden. Er meinte, Sie würden den Zusammenhang verstehen.
    Gestatten Sie mir zum Schluss zu kondolieren, mit meinem tiefsten und ehrlichsten Mitgefühl, denn ich weiß, dass Sie der Verlust Ihres Freundes schmerzen wird. Zögern Sie nicht, mit mir Kontakt aufzunehmen, wenn ich Ihnen anderweitig eine Hilfe sein kann.
    Hochachtungsvoll,
    M. Avignon
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    D ie Fotografie ist schwarz-weiß. Sie zeigt

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