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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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Mensch? Er ist ein wandelndes Risiko. Er schläft nicht nur manchmal bei der Arbeit ein, er ist widerspenstig und widersprüchlich, lässt sich nicht in die Karten schauen und hat auch sonst so viele unnütze und unvernünftige Dinge im Kopf, dass jede Kalkulation versagt.
    Seit Jahrhunderten hatten Leute herausfinden wollen, wie der Mensch tickt, und sie alle, ob Wahrsager, Philosophen, Psychologen, waren letztlich gescheitert. Wie sollten ausgerechnet Ökonomen die menschliche Unberechenbarkeit auf eine Formel bringen können?
    Ihre zündende Idee: Sie fragten nicht mehr, wie der Mensch tickt. Sie fragten, wie der Mensch ticken müsste, damit ihre Formeln funktionierten. Und die Antwort lag auf der Hand: Alle Probleme mit dem Unsicherheitsfaktor »Mensch« lösen sich in Wohlgefallen auf, wenn man zwingend annimmt, dass er bei dem, was er denkt und tut, immer nur an seinen eigenen Vorteil denkt. Diese Theorie hatte den Vorteil, dass sie immer funktionierte und alles berechenbar machte. Das Gegenüber ist undurchsichtig? Es wird durchsichtig wie Glas, wenn man annimmt, dass es nur seinen Profit vergrößern will. Menschen helfen anderen Menschen? Sie tun es, weil sie sich selbst etwas Gutes tun wollen.
    Die Spieltheoretiker hatten dem Menschen nicht einmal die Schädeldecke öffnen müssen, um sie zu dirigieren. Sie hatten ihn nur auf eine profitmaximierende Formel bringen müssen. Sie brauchten keine Demagogen, keine Flugschriften, keine Ideologen. Die Bücher, in denen der rationale Egoismus verkündet wurde, waren hoch abstrakt und für viele nicht zu verstehen. Die neue Spieltheorie griff durch pure Praxis in die Alltagswelt über. Man konnte damit alles Mögliche berechnen, nicht nur den besten Weg, um die Russen einzuschüchtern. Wann muss man ausweichen, wenn zwei Autos aufeinander zurasen, und der Erste, der ausweicht, das Spiel verliert? Das ließ sich gut auf Auktionen oder Gehaltsverhandlungen anwenden.
    Doch die neue Lehre, die in jedem Menschen eine Ego-Maschine sah, der beim Lebenspoker gewinnen will, stand so sehr im Widerspruch zu Erziehung und Alltagsmoral, dass es am Anfang, als sie ganz frisch und neu war, intuitive Widerstände gab.
    Die Menschen »draußen«, außerhalb der Thinktanks und Bunker, spürten in den Fünfzigerjahren, dass irgendetwas vorging. Es war kein Zufall, dass sie plötzlich von geradezu paranoiden Ängsten erfüllt waren, manipuliert zu werden.
    Hollywood malte sich und ihnen Albträume aus, in denen Aliens die Hirne der Menschen umbauen, ihre Gedanken mit Strahlenpistolen beeinflussen oder sie einer – meist kommunistischen – Gehirnwäsche unterziehen. Orwells »1984« beschrieb eine Welt, in der »Teleschirme« den Menschen indoktrinieren und überwachen. Das konnte man noch als Parabel auf totalitäre Systeme lesen. Aber keine zehn Jahre später regte sich in der breiten Öffentlichkeit der Verdacht, dass es nicht nur fremde oder eigene Militärs, sondern der Markt selbst war, der die Menschen kontrollierte und umerzog.
    1957 erschien der Bestseller »Die geheimen Verführer« von dem amerikanischen Journalisten Vance Packard. In dem war von Werbeagenturen die Rede, die Hypnotiseure beschäftigen, und von unterbewussten Werbebotschaften, die in einer Kinovorführung in New Jersey die Zuschauer dazu brachten, wie in Trance Eis zu kaufen.
    Das blieb zwar ein Mythos, aber die Hysterie, die er noch Jahre später auslöste, beweist, dass immer mehr Menschen damals das Gefühl hatten, dass sie im modernen Leben immer seltener eine wirklich rationale Wahl hatten. Packard hatte davon gesprochen, dass ihnen eine andere Intelligenz eingepflanzt und ein konsumblindes Verhalten antrainiert werden sollte. Also Indoktrination nicht durch Bücher, Worte oder Argumente, sondern mithilfe von Technologien, die einem ihre Spielregeln aufzwingen – seither eine nie mehr verstummte Angst der westlichen Industriegesellschaften.
    Das war damals alles noch ziemlich roh und einfältig und verschwörungstheoretisch argumentiert. Man glaubte, böse Mächte würden einfach in die Hirne der Menschen eindringen, ein paar Schrauben drehen und rote Knöpfe drücken, und der manipulierte Mensch wäre erschaffen.
    In Wahrheit ging es viel einfacher: Man verdoppelte den Menschen. Der »homo oeconomicus« heißt im digitalen Zeitalter nun der »ökonomische Agent«: ein Handelnder für den Menschen, in Computercode gegossen nach den Gesetzen der Ökonomen.
    Erst übernahm er strategische Entscheidungen

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