Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
beim Militär, dann ökonomische Entscheidungen in Märkten und schließlich immer häufiger soziale Entscheidungen im menschlichen Leben. Er muss nicht intelligent oder intuitiv sein, er muss nur nach den Regeln der Spieltheorie rechnen können.
Doch er kann noch mehr. Er trainiert die Menschen. Er hat offenbar die Macht, die Wertesysteme von Menschen tiefgreifend zu verändern. Keiner hat das im Jahre 2008 so unverhohlen ausgesprochen wie der Mann, den sie in der Kaffeeküche seiner Firma nur »Darth Vader« nannten.
Er hieß Joseph M. Gregory, seine Firma war Lehman Brothers. Und Gregory, der »Chief Operating Officer« der Investmentbank, hatte verstanden, dass die Qualifikation des Managers der neuen Zeit darin bestand, mit den sekündlich um ihren Vorteil feilschenden Maschinen des Todessterns zu verschmelzen.
Bereits unmittelbar vor der Explosion der Immobilienblase im Jahre 2008 war Gregory von Mitarbeitern gefragt worden, warum er bei Lehmann Leute beschäftigte, die von dem Geschäft nichts verstanden. »Es ist nichts Individuelles«, war seine Antwort, »es ist die Macht der Maschine.«
3 Prophezeiung
Wahr ist, woran wir glauben
D as Jahr 1989 bedeutete so viel mehr, als wir damals ahnten. Die Menschheit hatte, wie es einer der Meisterdenker der Spieltheorie zufrieden formulierte, aus der Kälte »größere Hirne mitgebracht, die das Resultat eines Rüstungswettlaufs innerhalb unserer Spezies waren und die immer größere und bessere geistige Rechenmaschinen bauten, nur mit dem Ziel, den anderen auszutricksen«. 31 Sie hörten nicht einfach auf zu denken, nur weil die Bedrohung, für die sie geschaffen worden waren, vorüber schien.
In den Fünfzigerjahren war es ein weiter Weg bis dahin; es fehlten noch die Technologien. Stattdessen gab es abstrakte Mathematik oder verquere Philosophie, wie jene von Ayn Rand, der amerikanischen Philosophin, die schon dem jungen Alan Greenspan den absoluten Egoismus lehrte. Man konnte damals davon hingerissen sein oder es ablehnen.
In jedem Fall hatte man die freie Wahl.
Bis eines Tages erst der Taschenrechner und dann der PC zum Alltagswerkzeug wurden und alles veränderten. In einer Welt von Papier und Bleistift und Rechenschiebern ist es unmöglich, eine komplexe Formel zur Berechnung seiner Mitmenschen im Alltag anzuwenden. Das Rechnen dauert einfach zu lang, und die Gelegenheit ist längst auf Nimmerwiedersehen verschwunden, wenn man endlich ein Ergebnis hat. Erst in dem Augenblick, in dem es durch vernetzte Computer in Echtzeit möglich ist, jede Transaktion, jedes menschliche Verhalten sofort durch die Formel zu berechnen, verändern sich Börsen und schließlich Teile der politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit.
Das egoistische Denkmodell war von Anfang an der Geist in der Maschine, aber zunächst, in den Achtzigerjahren, noch unscheinbar und bescheiden. Weil die Finanzmärkte noch nicht so weit waren und weil viele Programmierer der ersten Stunde mehr an Gemeinschaft als an Egoismus glaubten, experimentierte man mit kooperativen Algorithmen, die Menschen einfach nur zusammenbringen sollten.
Unzählige Versionen eines Stellvertreters für den Menschen im digitalen Raum wurden in den frühen Neunzigerjahren programmiert. Manche waren selbstlos und schlossen sofort Kompromisse, andere entwickelten eigene Wertesysteme. Es war die Zeit des Experimentierens und Ausprobierens. 32
Einer aber überlebte alle. Auf Papier, als Annahme über menschliches Verhalten vorausgedacht, wurde er in den Rechnern mit stahlharten darwinistischen Überlebensinstinkten codiert. Keiner entgeht heute diesem »ökonomischen Agenten«, und keiner bleibt von ihm unbeeinflusst.
Er ist die Indoktrinationsmaschine des Informationskapitalismus, sagt der Soziologe Michel Callon. Die Theorie »basiert auf der Idee, dass Agenten egoistisch sind … Um das Verhalten von ökonomischen Agenten in der Wirtschaftstheorie vorherzusagen, muss nichts daran wahr sein, es muss nur von allen geglaubt werden«. 33
Längst sind wir in die Ära selbsterfüllender Prophezeiungen eingetreten. Vielleicht können wir damit leben, dass soziale Netzwerke oder Suchmaschinen uns so genau kennen, dass sie uns nur noch die Informationen geben, die wir erwarten. Vielleicht auch damit, dass wir nur noch mit Menschen reden, die so denken wie wir selbst.
Aber wie kann man auf Dauer ohne seelische Beschädigungen in einer Gesellschaft bleiben, die von jedem Menschen annimmt, er sei vernünftig, wenn er aus
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