Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
zusammengebrochen«, hatte Alan Greenspan vor dem amerikanischen Kongress gesagt. 43 Doch Charles Fergusons Film »Inside Job« zeigte die völlige Ungerührtheit der Beteiligten. Keine Selbstkritik, keine Zweifel. Es war die brillanteste Dokumentation des Crashs, Ferguson bekam einen Oscar, und die Welt beruhigte sich damit, dass die Gesellschaft, um ihrer Selbstachtung willen, die Dinge beim Namen genannt hatte. Dokumentationen sind das eine; interessanter aber ist der Film, der vor dem inneren Auge der Öffentlichkeit abläuft. Zusammengesetzt aus all dem, was in Zeitungen, im Netz, in Talkshows, in Parlamenten und in Gerichtsverfahren zur Sprache kommt, erfüllt dieses Narrativ alle Anforderungen an einen Horror- und Katastrophenfilm.
Mehr noch: Er entspricht genau jenen »disaster-movies«, die in den Fünfzigerjahren im Umfeld der Angst vor der Atombombe in Hollywood und Japan entstanden, und lebt, als hätte die Phantasie keinen anderen Fixpunkt, von Monstern. Er ist das genaue Replikat der Geschichte vom verantwortungslosen Wissenschaftler, der ein Monster erschuf.
Alle Rollen in dem Katastrophenfilm der aktuellen Finanzkrise sind verteilt, und diejenigen, die den Plot erzählen – jene Trader, Banker und Politiker, die den amerikanischen Journalisten auf das Diktiergerät sprachen –, haben ihre eigene Rolle als Helden des Films nicht vergessen.
Schauen wir uns das Drehbuch so an, wie es die handelnden Personen selbst erzählen.
Erstens: Das Monster
Es ist nicht zu unterscheiden, ob es sich bei ihm um ein Artefakt, das Ding, handelt – der Computer, das »System« – oder um den Menschen selbst. Beide Varianten werden angeboten, beide stammen ursprünglich aus dem 19. Jahrhundert, als Mary Shelley ihren »Frankenstein« schrieb, der ebenfalls permanent mit seinem Monster verwechselt wurde.
Die einen beschreiben das Monster also als das Ergebnis von Formeln, Elektrizität, von Hardware und Software, die sich der menschlichen Kontrolle entzogen haben.
Für die anderen ist das Monster kein Amok laufendes Computerprogramm, sondern das Ergebnis von Deregulierung, Habgier und Selbstsucht. Habgier I: Menschen hatten sich Häuser gekauft, die sie sich nicht leisten konnten, und auf die Häuser, die ihnen nicht gehörten, weitere Kredite aufgenommen. Habgier II : Die Menschen, die sie dazu verführten und ihnen dafür das Geld gaben, hatten aus den Schuldverbriefungen, den Derivaten, ein großes unanständiges Geschäft gemacht, das nicht nur die Zahlungsunfähigkeit ihrer Klienten, sondern auch schon den Aufschub einkalkulierte, mit dem Zwangsvollstreckungen und Zwangsversteigerungen den Totalausfall ihrer Anleihen verzögern würden.
Aber Alan Greenspan lieferte vor dem amerikanischen Kongress eine dritte Erklärung. Das Monster, sagte er, sei mutiert aus »den besten Erkenntnissen« von Mathematikern und Nobelpreisträgern und den »großen Fortschritten in der Computer- und Informationstechnologie«.
Damals ging in der allgemeinen Empörung und Aufregung unter, dass gerade zum ersten Mal eine globale Krise mit dem Erscheinen des Cyborg, eines Mensch-Maschine-Mischwesens, erklärt wurde.
Das Monster – so will es die Spannungs-Ökonomie in den ersten Akten jedes Monster-Films – ist erst unsichtbar; dann sieht es aus wie Bernard Madoff. Die andere Erscheinungsform des Lebewesens, die Maschine, das Ding, stellt man gern in grün flackernden Zahlenreihen dar, die über Bildschirme rasen. Die Anthropologin Caitlin Zaloom hatte beobachtet, wie die sich ständig auf den Bildschirmen verändernden Zahlen eine Transmutation bewirkten.
Zahlen, die das härteste und unbestreitbarste Kommunikationsmittel sind und aus denen Naturgesetze abgeleitet werden, dienten nicht mehr zur Berechnung eines Marktes, sondern nur noch zu dessen Interpretation. 44
Verwirrung ist durch einen konkurrierenden Begriff entstan den, der – vor Fukushima verwendet – besonders in Bankenkreisen Karriere machte: Kernschmelze. Damit sollte der menschliche Teil des Monsters amputiert und die Angelegenheit zu einer reinen Naturkatastrophe erklärt werden. Kernschmelze. Das klang physikalisch, gemeint war aber tatsächlich ein statistisches Mons ter: der größte anzunehmende Unfall, der aber zugleich der unwahrscheinlichste war.
Bereits in den Neunzigerjahren hatten zwei Autoren (einer von ihnen der Miterfinder der Wertsicherungsstrategie, mit der man seine Aktien gegen Verlust absichern kann) mathematisch bewiesen, dass der
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