Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
zu einem Ergebnis kommenden Kommentare und Analysen liest, kann erkennen, wie sehr dies das Script unseres Alltags geworden ist. Alles reduziert sich am Ende auf Ja, Nein, Ausschluss, Einschluss (zum Beispiel Griechenlands), und am Ende klingt das alles so, wie es Neurowissenschaftler Ralph Gerard einst parodistisch voraussagte:
»Ein Mann geht allein auf eine Party und bemerkt, dass die Gäste dort einander Zahlen zurufen und dann lauthals zu lachen anfangen. Ein Anwesender erklärt: ›Wir kennen viele Witze, und wir haben sie so oft erzählt, dass wir inzwischen nur noch eine Zahl für sie verwenden.‹ Der Mann denkt, er könne es auch einmal versuchen und sagt laut in die Runde: ›63.‹ Die Reaktion fällt schwach aus. ›Was ist los, ist das kein Witz?‹, fragt er. ›Doch, das ist sogar einer unserer besten Witze, aber Sie haben ihn nicht gut erzählt.‹« 51
Genau so werfen sich die europäischen Öffentlichkeiten Zahlen an den Kopf, die das Monster bändigen sollen. All diese Zahlen sind nichts anderes als Interpretationen, ob eine Gesellschaft, ein Staat, die Eurozone überleben werden oder nicht. Es ist praktisch unmöglich, zwischen diesen Zahlen und der eigenen Identität als Bürger irgendeinen Zusammenhang herzustellen. Kaum werden sie genannt, lacht schon jemand, entweder weil er behauptet, sie würden niemals ausreichen, oder weil er der Meinung ist, damit würde man das Monster nur noch mehr füttern.
Die Wissenschaftler bieten derweil fundamental widersprüchliche Gegenmittel, und während die einen über »63« laut lachen, finden andere, das sei nur ein billiger Abklatsch. Es ist nicht nur die Krise eines Finanzsystems, von dem wir reden, sondern eines kognitiven Systems, das zwischen Information und Wissen nicht mehr zu unterscheiden vermag, weil alles zu Spielzügen (oder Drehbuchszenen) geworden ist.
Mitte der Sechzigerjahre hatte Susan Sontag eine Analyse der amerikanischen Science-Fiction-, Horror- und Katastrophenfilme des Kalten Kriegs geschrieben. Darin zeigt sie, wie sehr die Monsterängste nicht nur von der Angst vor der Bombe getrieben sind, sondern auch von dem Gefühl der Depersonalisierung – als würden die Menschen befürchten, ihr individuelles Ich durch die »Invasion of the body snatchers«, »The creeping unkown«, »The Puppet People« oder »The Brain Eaters« für immer zu verlieren. Das Verbrechen der Monster ist »schlimmer als Mord. Sie töten die Person nicht einfach. Sie löschen sie«. 52 Es war die Vorahnung einer Welt, in der das Ich zu einer »Black Box« werden sollte, definiert allein durch Präferenzen und zwar – Hollywood ließ sich nicht lumpen – der Präferenz aller Präferenzen: zu überleben.
Nur durch Verstellung, Tricks, Pokern mit menschlicher Irrationalität und mithilfe der »weißen Magie« der Wissenschaft ist ein einzelner Held (allerdings zusammen mit dem Militär) in der Lage, die Welt zu retten.
In ihrem Essay hatte Sontag in leeren Dialogen auch den Satz identifiziert, der immer dann im Kampf gegen die Monster fällt, wenn der Held, die Armee oder die Politiker ihren Verteidigungsplan aushecken (»hedgen«). So sicher wie das Amen in der Kirche, immer und überall, heißt es dann:
»Ich hoffe, es funktioniert.«
Anfang der Fünfzigerjahre besuchte ein von der neuen intel lektuellen Waffe, der »Spieltheorie«, euphorisierter Journalist das Pentagon. Er schrieb an einem Buch mit dem Titel »Strategien für Poker, Business und Krieg«, denn er hatte gehört, dass die Armee den Stein der Weisen für solche Strategien gefunden habe. Ein Denksystem für das Atomzeitalter, mindestens so wich tig wie die Bombe selbst: »In der spartanischen Umgebung eines Pentagon-Büros sagte ein junger Wissenschaftler, der für die Air Force arbeitete: ›Wir hoffen, es wird funktionieren, genauso wie wir 1942 gehofft haben, dass die Atombombe funktioniert.‹« 53
Es hat funktioniert. Es war der Stein der Weisen. Wer ihn besitzt, so behaupteten einst die Alchemisten, kann Blei in Gold verwandeln. Aber er hat auch Risiken und Nebeneffekte. Denn ohne dass es jemand wirklich wollte oder auch nur ahnte, sind nun die Monster in unsere Welt zurückgekehrt.
6 Ratio
Jeder Mensch wird Manager seines eigenen Ichs
W ir sind zu zweit. Wo immer wir sind, wir sind zu zweit. Sie können der einsamste Mensch der Welt sein und Sie sind zu zweit. Man kann die Türen verbarrikadieren, die Fenster schließen, Nummer 2 drängt sich noch schnell herein. Nummer 2
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