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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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funktioniert. Wie sonst wäre es uns möglich gewesen, die Spieltheorie für die großen Telekom-Auktionen einzusetzen, die die Welt verblüfften, weil sie Milliarden Dollars aus dem Nichts schufen?« 93
    Niemand kann die politische Entwicklung des englischen Premierministers Tony Blair oder von Teilen der deutschen Sozialdemokratie unter Gerhard Schröder wirklich verstehen, ohne Ken Binmore und das, wofür er stand, als Muse für »New Labour« und die Agenda 2010 zu begreifen. Als Repräsentant des neuen Denkens erweckte Binmore nicht nur den »homo oeconomicus« für den Gebrauch von Rechenmaschinen und Finanz märkten zum Leben, sondern er begann, dem »Spiel des Lebens«, den Ideen von Kooperation und Solidarität, eine grundsätzlich neue Moral zu verordnen. Hatte man Angst vor einer Welt, die Nummer 2 regiert? Dann hatte man die neue Welt nicht begriffen, wie die Telekom-Auktionen bewiesen: Gezielt ausgebeuteter Egoismus kann dem Wohle aller dienen. Hatte man Sorge vor einer Welt der Berechnung und strategischen Voraussage auf Basis des Eigennutzes jedes einzelnen Mitspielers? Jetzt, wo der Computer auf jedem Schreibtisch stand, konnte doch jeder mittun: jeder Trader, jeder Mensch.
    Schon ein Jahr nach dem Fall der Mauer hatte Binmore zunächst erfolglos damit begonnen, sich hinter den Kulissen dafür einzusetzen, dass die Spieltheoretiker, John Nash an der Spitze, den Nobelpreis verliehen bekamen. 94 Kaum ein anderer der Väter von Nummer 2 hat so unverhüllt und provozierend wie Bin more bekannt, dass er sich nicht »schäme«, an den großen Egois ten als Weltmodell zu glauben. Wir werden Binmore später noch in Aktion erleben, wenn Nummer 2 in der Welt der Finanzen, der Menschen und der Gene groß und stark geworden ist. Doch hier, im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, interessiert uns zunächst nur sein Vaterstolz auf das Wesen, das er in die zivile Welt entlassen will.
    »Gier und Furcht«, schreibt er, »sind ausreichende Motivationen; Gier nach den Früchten von Kooperation, und Angst vor den Konsequenzen, wenn man die kooperativen Angebote anderer nicht annimmt. Mr. Hyde mag kein anziehendes Wesen sein, aber er kann außerordentlich effizient mit anderen zusammenarbeiten, die genauso ticken wie er.« 95
    Das heisst nichts anderes als: Nummer 2, der »ökonomische Agent«, der »Homo oeconomicus« sind so schlimm geworden, wie von den Literaten seit Jahrhunderten befürchtet. Aber man kann gut mit ihnen Geschäfte machen.

9 Blutkreislauf
    Im Inneren einer Maschine wird alles,
was die Maschine tut, zu einem Naturgesetz
    I n unserem Kopf tragen wir eine ganze Menge Ungeheuer mit uns herum. Am Anfang, im 19. Jahrhundert, erzählen Schriftsteller davon, am anderen Ende, im Jahre 2010, ein paar ebenso kluge wie witzige Wissenschaftler des Internationalen Währungsfonds.
    Das Gruselkabinett des 19. Jahrhunderts – »Frankenstein«, »Dr. Jekyll und Mr. Hyde« und »Dracula« – versammelt Monster, die eines gemeinsam haben: Es sind in Wahrheit allesamt Monster der Ökonomie. Sie sind Nummer 2 vor der Erfindung des Computers: in der Version des mechanistischen Zeitalters.
    Die Romane entstanden in Zeiten der wirtschaftlichen Krise, ja sogar der ökonomischen Panik, und sie stammen von Autoren, denen in unterschiedlichem Maße – wie »Jekyll«-Autor Robert Louis Stevenson von sich sagte – »der Bankrott auf den Fersen war«. Als Frankensteins anonymes Monster sich heimlich um den Haushalt seiner »Freunde« kümmert, nennt es sich selbst die »unsichtbare Hand« – eine Anspielung auf »die unsichtbare Hand des Marktes«, jene Metapher, mit der der schottische Moralphilosoph und Aufklärer Adam Smith im 18. Jahrhundert die Selbstregulierung des Marktes beschrieben hatte.
    »Dr. Jekyll und Mr. Hyde« werden in ihrer Doppelnatur nur von einer einzigen Institution anerkannt und legitimiert, die in Stevensons Welt selbst wegen ihrer Doppelnatur ins Gerede kam: die Bank von England.
    Die amerikanische Literaturwissenschaftlerin Gail Houston hat gezeigt, dass der scheußliche Hyde ohne Umstände als der freundliche Dr. Jekyll anerkannt wird, wenn nur die Unterschrift unter dem Scheck die richtige ist. 96
    Ob Mr. Hyde oder Nummer 2 oder der »homo oeconomicus« – um den Menschen zu ersetzen, brauchen beide keine Seele, sondern nur die Legitimation als Geschäftspartner. Im Roman verschafft die Bank Mr. Hyde Kreditwürdigkeit und produziert damit Identität auch für den mörderischen Egoisten. Houston

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