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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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oeconomicus an den Kragen geht.
    Das Problem ist nur, dass die Gesellschaft, in der wir heute spielen, sich in den letzten Jahren massiv verwandelt hat. Immer mehr Bereiche unseres Lebens werden börsenähnlich umgestaltet, und damit werden das ökonomische Prinzip und der Egoismus von Nummer 2 zur Grundlage zwischenmenschlicher Beziehungen. Sie sind bereits heute oft dort am Werk, wo Menschen mit Computern arbeiten und den ökonomischen Agenten die Entscheidungen überlassen: an den Börsen, in Suchmaschinen, sozialen Netzwerken, im Personalbüro, beim Finanzamt oder bei der Einwanderungsbehörde.
    An den heutigen anonymen digitalen Lebensbörsen gibt es keine Wiederholungsspiele. Das Spiel und die Spielteilnehmer wechseln ständig. Das gilt für das Militär, die Finanzmärkte und die soziale Existenz des modernen Menschen. Ein falscher Zug, eine falsche Lebensentscheidung, ein falscher Tweet oder eine falsche Beurteilung des Opponenten kann alles aufs Spiel setzen, ohne die Chance auf Wiederholung, immer öfter ohne zweite Chance überhaupt. 91
    Der einsame Mensch in seinem Bunker, vor seinem Bild schirm – ob an der Börse, am Arbeitsplatz oder zu Hause – ist zunehmend in einer virtuellen Welt anonymer Einmalinteraktionen gefangen. Wir sind damit in die Vorhölle nicht kooperativer Spiele hinabgestiegen und genau dort angekommen, wo die Spieltheorie einst begann: in der Denkmaschine jener militärischen und semi-militärischen Thinktanks des Kalten Kriegs und seiner paranoiden Atmosphäre. Dort, wo die große Ego-Maschine gebaut wurde, die heute im Begriff ist, unsere Welt und ihren moralischen und demokratischen Code tief greifend und mit ungeheuerlicher Geschwindigkeit zu verändern.
    Damit das geschehen konnte, musste Nummer 2 eine Probe seines Könnens abliefern. Der Sieg über die Russen war gut und schön, aber er war nicht wirklich zu beweisen. Außerdem war der Kalte Krieg nun eben doch eine Art Krieg, und ob Nummer 2 als Zivilist taugte, war völlig offen. Nicht wenige Ökonomen, die mit dem Krieg der Systeme nun auch die neoklassische Tradition eines reduktionistischen Menschenbildes beenden wollten, begannen öffentlich die Begrenztheit des Modells zu diskutieren.
    Der Durchbruch, der jedem Investmentbanker auf der Welt die Augen öffnete, kam im Jahre 1994. In den USA und bald auch in vielen anderen Staaten der Erde wurden Telekommunikationsfrequenzen versteigert. Die »Mutter aller Auktionen« brachte atemberaubende Resultate. Und der Grund wurde schnell bekannt: Sowohl die »Federal Communications Commission« wie der Bieter hatten Spieltheorie-Experten engagiert, die sie bei der Auktion beraten sollten. 92 Gleichzeitiges Bieten bei Berücksichtigung des Nash-Gleichgewichts, so lautete die propagandafähige These, hatte dem Staat mehr Geld eingebracht, als er je zu träumen wagte.
    Aber es sollte noch besser kommen. Im Jahre 2000 organisierten britische Physiker und Ökonomen die Auktion der 3G-Mobilfunklizenzen nach den Regeln der Spieltheorie und erzielten damit für die britische Regierung einen sensationellen Profit von völlig unrealistischen 22 Milliarden Pfund. Auf viele wirkte es wie der lang erwartete Beweis für die Funktionsfähigkeit des Modells: Alle zahlten mehr, als sie je gewollt hatten, für etwas Abstraktes, das in Wahrheit gar keinen realen »Preis« hatte. Trotzdem zahlten sie mit der Genugtuung (jedenfalls für ein paar Monate), die eigenen egoistischen Interessen bestmöglich verwirklicht zu haben.
    Der entscheidende Kopf hinter den Kulissen war ein Mann, der im Begriff war, Nummer 2 und die Spieltheorie zur neuen politischen und gesellschaftlichen Ordnungsidee des 21. Jahrhunderts zu machen. Der 1940 geborene, brillante britische Mathematiker und Ökonom Kenneth Binmore war überzeugt, dass das, wovor Philip K. Dick Angst gehabt hatte, eine Verheißung war: die Chance auf einen neuen rationalen Gesellschaftsvertrag.
    Keiner hat hinter und vor den Kulissen mehr für die zivile Karriere des Mega-Egoisten getan als er. Und keiner feierte so wirkungsvoll wie er den Erfolg der Auktion nicht nur als Beweis für die Theorie, sondern als Beweis für ein Menschenbild: »Wir wissen, dass einzelne Menschen manchmal irrational sind und sich nicht so verhalten, wie es unsere Theorien von einem Mitspieler verlangen. Aber Feldforschungen und Laborexperimente bestätigen, dass Menschen in einigen Kontexten in ausreichendem Maße konsistent handeln, damit unsere Theorie wie ein Uhrwerk

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