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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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Börsen verschmolzen die Händler erst mit ihren Taschenrechnern und deren vorprogrammierten Zins- und Optionstasten, und dann wanderten sie wie vor ihnen das Militär in das Innere der Maschine selbst und bewohnten die geschlossenen Räume der Terminals.
    »Der homo oeconomicus existiert jetzt wirklich«, rief der Soziologe Michel Callon, »er wird von Prothesen, die ihm in seinen Berechnungen helfen und die größtenteils aus der Ökonomie stammen, formatiert, gerahmt und versorgt.« 99
    Unter all den Prothesen ist die Spieltheorie eine der beliebtesten. Wir lernen heute schon in der Schule, dass über die Jahrhunderte alle Versuche, die Menschen auf ein paar mechanische Zahnräder, hydraulische Pumpen oder physikalische Formeln reduzieren zu wollen, grandios gescheitert sind. Auch die Ökonomen wussten das lange Zeit und haben Ideen der »begrenzten Rationalität« entwickelt, die klarmachen, dass Menschen nicht wie Mr. Spock agieren.
    Aber Nummer 2 antwortet darauf nur: Der Mensch kann tun, was er will. Die Freiheit ist sein Kennzeichen und das seiner Apparate. Nur: Wenn er nicht nach der Spieltheorie handelt, dann werden ihn der Markt und die Geschichte und die Vernunft womöglich zerschmettern.
    Aber selbst ohne diese Drohung war der menschliche Faktor chancenlos gegen die Praxis. Der Computer hat die Überlebensmaschine Nummer 2 als ökonomischen Agenten in seine Software eingebaut. Er übernimmt die Geschäfte, steuert die Auktionen, prophezeit die Zukunft und erklärt die Vergangenheit. Längst nicht mehr nur auf den Finanzmärkten, sondern auch bei sozialen Netzwerken, in analytischen Verfahren, die für E-Mails angewendet werden, und an allen anderen Märkten, die den Preis für einen Menschen über die Gesamtheit sei ner Daten und den Gesamtmarkt digitaler Kommunikation ermitteln.
    Wir werden Nummer 2 in einem späteren Kapitel bei der Arbeit sehen; an dieser Stelle unseres kleinen Porträts interessiert uns nur der Agent als künstlicher Mensch, in der ganzen Pracht seiner Präferenzen und Vorurteile.
    Angestachelt von dem ansteigenden Vernetzungsgrad von Menschen, die kooperieren und nicht kaufen und verkaufen wollten (vor allem nicht sich selbst), geriet Nummer 2 so richtig in Fahrt und drängte sich erfolgreich in alles hinein. Jetzt, im Morgengrauen des kommerzialisierten Internets, waren die Menschen selbst an der Reihe.
    Warum eigentlich wollen das Netz und das Handy und die mächtigen Firmen, die dahinterstehen, wissen, was wir als Nächs tes tun und denken? Weil unser Tun und Denken Spielzüge sind. Der Mensch wird User, der User wird Konsument und der Konsument wird Nummer 2: auf der Suche nach den besten Preisen, Kontakten, kurz: den besten Informationen in der neu entstandenen angeblichen »Informationsökonomie«.
    Und die nächste Metamorphose steht unmittelbar bevor: Der Staat der Zukunft – ein gigantisches kommerzielles, real existierendes Internet – wird »viele Funktionen outsourcen, weniger auf Gesetze und Regulierung, sondern mehr auf Marktanreize setzen und viel häufiger auf eine ständig wechselnde und ständig ausgewertete Nachfrage von Konsumenten reagieren, nicht auf relativ seltene Wählerpräferenzen bei Wahlen«. 100
    Anders als im wirklichen Leben hat man den menschlichen Doppelgänger in den digitalen Systemen ständig im Blick. Vorherzusagen, was einer tun, kaufen, denken wird, um daraus einen Preis zu machen, diese Absicht verbindet Militär, Polizei, Finanz märkte und alle Bereiche digitaler sozialer Kommunikation.
    Praktisch jeder Mensch, zumindest in der westlichen Hemisphäre, ist bereits Bestandteil der Spiele des John Nash. Man nimmt täglich, ohne es auch nur zu ahnen, an Auktionen teil, wie sie Ken Binmore für die Regierung organisierte.
    Ein harmloses, aber umso mächtigeres Auktionsspiel ist Google Adwords. Der Wissenschaftsphilosoph George Dyson hält diesen Algorithmus für den gegenwärtig mächtigsten Algorithmus der Welt; komplexer und fähiger als alle spieltheoretischen Formeln des Kalten Krieges. 101 Diese Software, die Suchanfragen mit Werbung verbindet und Google reich gemacht hat, ist ein Routinejob von Nummer 2 geworden.
    Jede einzelne Suchanfrage, die ein Mensch irgendwo in der Welt stellt, ist in Wahrheit eine von Nummer 2 gesteuerte Auktion, in der sich entscheidet, welche Werbung und zu welchem Preis am rechten Rand der Seite erscheint. Die Auktion wird über spieltheoretisch modellierte Algorithmen gespielt, die sich nicht mehr von denen

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