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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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Jahrhunderts war es nicht ungewöhnlich, dass sich ein Theoretiker, der mathematische Formeln benutzte, dafür entschuldigte und erklärte, dass diese Herangehensweise nicht bedeute, dass Menschen Automaten und ohne freien Willen seien.« 97
    Wie war dieser imperialistische Erfolg möglich? Wie war es möglich, dass Menschen anfingen, sich immer mehr dem Menschenbild von Nummer 2 zu unterwerfen, das sie doch im wirklichen Leben abgelehnt hätten? Schließlich hatten sie sich ja auch keinen Mr. Hyde entworfen. Wieso jetzt ein abstraktes Wesen? Es gab dafür nicht nur philosophische Gründe – die postmoderne Auflösung des Ich hatte, wie wir gesehen hatten, die Ökonomie relativ unsentimental zur Kenntnis genommen. Der Erdenrest war verschwunden, die Alchemie konnte beginnen. Aber das spielte sich in akademischen Zirkeln ab, und es gab auch innerhalb der Disziplin so viele Neben- und Seitenwege, von Widerspruch ganz zu schweigen, dass der strategische Sieg von Nummer 2 in der Alltagswelt tatsächlich nur ökonomisch zu erklären ist: Er war unglaublich effizient und durch die Verschmelzung mit den Computern über Nacht mit den Muskelpaketen von Superman ausgestattet worden.
    Kurz: Nummer 2 war deshalb so erfolgreich, weil er zumindest bis vor Kurzem vor allem in Börsen das konnte, was Menschen noch vor jeder Ideologie kapitulieren ließ: Er konnte erstaunlich korrekte Voraussagen machen. Er tickte wie ein Uhrwerk, das die Zukunft anzeigt. Die Mathematik schien zu sagen, dass hier kein Modell, sondern ein Naturgesetz am Werke ist. Nummer 2 ist nichts ande res als ein Ego-Automat, eine Maschine, die sich programmieren und einsetzen lässt, aber genau darauf fallen Menschen herein. Er hatte ja Erfolg: sowohl im Kalten Krieg wie bei den Auktionen wie an den Börsen. Man muss keinen Egoismus predigen. Man muss Menschen nur ins Innere einer Maschine ziehen und ihnen einreden, dass das, was sie sehen, ein Naturgesetz ist.
    Newtons abstraktes Weltbild überzeugte nicht deshalb, weil Menschen sehen konnten, wie sich die Erde um die Sonne dreht, sondern weil man nun Kometen und Planetenbahnen aufgrund seines Modells präzise vorhersagen konnte. So auch im Kosmos, in dem Nummer 2 das Sagen hatte.
    Formeln, die die Ergebnisse ökonomischen Handelns vorhersagen und die wiederum ein bestimmtes ökonomisches Handeln erzwingen, sind nicht mehr nur Vermutungen, nicht einmal mehr Beschreibungen von Märkten, sondern sie erschaffen Märkte. Den Gesetzen, denen die Himmelskörper folgen, ist, wie Callon zu Recht hervorhebt, egal, ob wir an sie glauben oder nicht. Die erfolgreichsten Modelle bezogen sich ja selbst auf die Zukunft. »Futures« und ihre, aus Newtons mechanischem Zeitalter übersetzten »Hebel«: Derivate legten Preise für Dinge fest, die es noch gar nicht gab.
    Man kann das Ausmaß dieser Operation auch in Zahlen fassen. Weltweit wuchs der spekulative Wert von Derivaten von null im Jahre 1970 auf 1,2 Billiarden Dollar im Jahre 2010 und ist damit 20 Mal größer als das Bruttosozialprodukt der ganzen Erde. Darum reden jetzt selbst entgeisterte Wirtschaftsnobelpreisträger von der »Alchemie« der Märkte: Wahr geworden ist der alte Traum, nur durch Gedanken und Berührung Gold zu schaffen. Auch für den Menschen gilt nun, wie die Alchemisten lehrten, dass »Arbeit« eine Arbeit der Seele sein muss. Wer es richtig macht, dem gehören die Reichtümer der Welt.
    Damit das geschehen konnte, musste der Strom durch die elektronischen Adern des Computers fließen, und die Menschen mussten sich durch PC und Handy an den Kreislauf selbst anschließen. Der Computer wurde beides: Marktplatz und Wohnung des ökonomischen Agenten. Jetzt erst funktionierten die Formeln wie genetische Programmierungen. Menschen mochten irrational sein, nicht aber die »autonomen Agenten«, die für den Men schen auf Finanz- und bald auch allen anderen Märkten handelten. Es geschah, was in den unübertrefflichen Worten von Hugh Kenner immer geschieht, wenn die Welt in eine neue Ära eintritt: »Systeme wurden ausgearbeitet, und der dazugehörige Mensch wurde ausgedacht.« 98
    Dieses große Sozialexperiment mit dem Menschen der Zivilgesellschaft begann zuerst mit der Automatisierung des Parketthandels der Finanzmärkte.
    Es ist ratsam, die Kritik der digitalen Ökonomie nicht mit der Maschinenskepsis gegenüber Automobil und Eisenbahn zu verwechseln. Wir reden nicht über Technologie, sondern über den Bau der sozialen Maschine.
    In den Trading Pits der

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