Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
Sie ist es. Die Maschinen, die Räume, die Screens, das sekundenschnelle Absaugen des Sauer stoffs, um Flächenbrände zu vermeiden, Nummer 2, der digitale Agent, der mithilfe der Spieltheorie zuschlägt oder verteidigt – das ist in der Tat das Hirn, das ein historisch einzigartiger Rüstungswettlauf in uns hervorgebracht hat.
Und wer nicht gemerkt hat, dass auch die Menschen im Innern des Hirns das Gleiche tun wie damals, nur diesmal mit den Ersparnissen von Oma und Opa, dem sagen es die Trader.
»Skalpieren«, »killen«, »ausblasen« sind die Verben, die sie lieben. Bei einer Investmentbank programmierten sie ihre Computer so, dass aus den Lautsprechern bei Kurs- oder Zinsveränderungen Kriegsgeräusche drangen. An regen Handelstagen waren die Flure vom Getöse zerbrechenden Glases und einschlagenden Pistolenkugeln erfüllt. 88
Was die Trader sehen, hat »keine Gestalt mehr«. Es sind Lichtpunkte, in Form von Zahlen, »Gelegenheiten, die schnell vorübergingen und anderen wieder neue Möglichkeiten eröffneten«. 89 Viele derjenigen, die in die Monitore starrten, sahen keinen Unterschied zwischen militärischen und finanztechnischen Operationen. Beides sind Gelegenheiten, einen Sieg zu erringen oder eine Niederlage zu verhindern.
Seit den Neunzigerjahren verwandelten sich ihre Arbeitsplätze mit der steigenden Geschwindigkeit voll automatisierter Börsenmärkte zu symbolischen Kriegsschauplätzen: Die Börsen räume, wo die Trader kauften und verkauften, wurden zu simulierten Schlachtfeldern. Die Investmentbanken zu strategischen Militärkommandos, die mit den Quants ihre eigenen »Raketentechniker« beschäftigten, die für sie die finanztechnischen Waffen produzierten.
Die Quants implementierten Nummer 2. Nicht vor dem Bildschirm, sondern in der Maschine. Als Computerprogramm an den Börsen hatte er seinen ersten neuen Lebensraum erobert; er begann zu handeln, Geschäfte abzuschließen, er lernte zu bluffen. Und er musste sich, wie man sieht, nicht groß umorientieren. Das Umfeld, in dem er sich bewegte, war in fast nichts von den geschlossenen Welten des Pentagons zu unterscheiden.
Nummer 2 wurde zum synthetischen Trader, der, gefüttert mit den Formeln der Spieltheorie, in immer größerem Umfang Börsen geschäfte erledigte. Zum ersten Mal war damit »Egoismus« nicht nur eine Charaktereigenschaft von Menschen, sondern wurde von Maschinenprogrammen exekutiert.
Amerikanische Trader benutzten damals das deutsche Wort »spielen« für ihre Aktionen (»I’ve always spieled … on the other house account«). Wie beim Militär verschmolz die testosterongesteuerte Wachsamkeit des Trader-Söldners mit der kalten logischen Unerschütterlichkeit von Nummer 2. Der brachte eine tödlich logische Waffe mit, die sich in anonymen Welten des Kalten Krieges blendend bewährt hatte und in den Automatenumgebungen der Märkte strategisch so vorging, wie es sich die Militärs einst von ihren Soldaten erhofft hatten: drohen, schießen und treffen, ehe der andere überhaupt merkt, was geschehen ist (»first round killing«).
An der Börse wurde daraus: Profite realisieren, ehe der andere überhaupt merkt, dass er dafür bezahlen wird. Und wenn das nicht möglich ist: den Gegenspieler einfrieren bis zur Handlungsunfähigkeit. Es kann, wie in der Lehman-Krise, zum »Armageddon« durch »Massenvernichtungswaffen« kommen. Viel häufiger aber spielt sich das Geschäft im Bereich konventioneller Kriegsführung ab, in der es um »Angriffe«, »Niedermähen« und »Massaker« geht:
»Ich kann es nicht erklären. Es ist so wild. Wenn jemand das von außen sähe, würde er sagen: Die sollten eingesperrt werden – so gewalttätig ist es, wenn es losgeht. Als Amerika im Golfkrieg war, hatten wir 300 000, 400 000 Kontrakte pro Tag, sechs Monate lang … Du musst dabei sein … Das ist alles, was zählt … 400 000 Francs zu verlieren paralysiert mich nicht … Das Gute an mir ist, wenn ich zusammengeschlagen werden, stehe ich wieder auf und gehe rein. Auf geht’s, zurück an die Front.« 90
Das Tragische ist, dass humane Varianten der Spieltheorie im Laufe der Jahre und zum Teil unter heftigem inneren Streit der Mitspieler tatsächlich Regeln für sinnvolle Kooperationen, für Zusammenarbeit und faire Verteilung aufgestellt und bewiesen haben. Der Physiker Stefan Klein hat vor einigen Jahren in seinem spannenden Bestseller »Der Sinn des Gebens« eine Vielzahl solcher aufmunternder Beispiele benannt, in denen es dem homo
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