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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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120
    Merlin kaufte die französischen Automaten auf und brachte sie in London in seinem mechanischen Museum unter, das noch glänzenderen Ruf genoss als die Zauberwerke Vaucansons zu ihren Hochzeiten in Frankreich.
    Mit dem Geld jener Finanziers organisierte Merlin eine Dauerausstellung von Androiden, von der man nichts weniger sagen kann, als dass sie die Zerlegung des Menschen in alle jene Einzelfunktionen vorführte, die später im industriellen Fertigungsprozess so wichtig werden würden. Die Figuren »führten fast jede Bewegung und Neigung des menschlichen Körpers aus, nämlich die des Kopfes, der Brust, des Nackens, der Arme, der Finger, der Beine und selbst die Bewegung der Augenlider und das Emporheben von Fingern und Armen ans Gesicht«. 121
    Tatsächlich sahen die Menschen, ohne es zu wissen, Algorithmen. Sie waren nicht wie heute in Codes geschrieben, sondern handgreiflich, aber sie bereiteten die Menschen auf eine Welt der Arbeitsteilung und der Zerlegung vor. Das Zerlegen von Uhrwerken, so hat Otto Mayr erläutert, galt seit dem 17. Jahrhundert »als Illustration für analysis«. 122 Es war ein unbewusster Prozess, der mehr mit der Nachfrage nach künstlichen Kör perteilen zu tun hat als mit den Bedürfnissen der modernen Industrie, doch setzt er genau um, was heute durch Algorithmen unablässig geschieht: das Zerlegen körperlicher und geistiger Arbeit in Formeln, die den physikalischen und damit ökonomischen Wert des Denkens messen sollten.
    Um 1790 ersann der Chemiker und Ökonom Antoine Lavoisier nicht nur Reformen für die französische Landwirtschaft, sondern auch eine Berechnungsmethode für Denken und Schreiben mit dem Ziel, geistige Arbeit zu messen, also in den Kopf einzudringen. »Indem sie den Pulsschlag und den Luftverbrauch maßen«, schreibt Simon Schaffer, »glaubten der vorsichtige Akademiker und seine Mitarbeiter, dass sie angeben konnten, wie viel Pfund Gewicht den Versuchen eines Menschen entspricht, eine Rede zu halten oder ein Musikinstrument zu spielen.« 123
    All das wurde bald im Zeitalter der Arbeitsrationalisierung und des Taylorismus als Modell für die neue Gesellschaft im 20. Jahrhundert gebraucht: die Umrechnung von immer wiederkehrenden Mikrobewegungen, wie das Heben eines Armes oder das Strecken der Finger, in physikalische Formeln von Kraft und Effizienz. Doch noch bestand der Arbeiter aus Muskeln, Knochen, Händen, Armen und Beinen. Während der gesamten industriellen Revolution bis weit ins 20. Jahrhundert war sein mentaler Rückzugsort, dass er zwar seine physische Kraft, nicht aber seine Seele verkaufte.
    Der romantische Dichter William Wordsworth hatte als einer der wenigen in den niedlichen Androiden in Merlins Haymarket-Theater etwas ganz anderes gesehen. Er jubelte nicht. Er nannte das, was er sah, ein »Parlament der Monster«.
    Noch einhundert Jahre währte in Europa der Siegeszug der Spielzeug-Kreaturen. Am Schluss endete er wie in einem Roman im Tingeltangel und im Mysterium. Von dem berühmtesten Exemplar, jener lebensechten Ente, die bereits Goethe im bejammernswerten Zustand sah und die Napoleon deshalb nicht zurückkaufen wollte, tauchte in den Dreißigerjahren in einem französischen Museum ein mysteriöses Foto auf, dass das halb skelettierte mechanische Tier angeblich in Dresden zeigte.
    Als die künstliche Spezies von der Weltbühne der Fantasie abtrat, waren die großen Nationen von Maschinen bevölkert, die selbstständig handeln und sich selbst regulieren konnten. Sie wirkten wie eine Mutation der fragilen Automaten; und sie wurden nicht mehr händeklatschend und mit Jahrmarktsfreude begrüßt, sondern mit Ehrfurcht oder Angst.

12 Gehirn
    Der Mensch wird automatengerecht
    D ie Automaten verrosten, und das Zeitalter der Dampfmaschine steht bevor. Maschinen haben die Macht, gesellschaftliche Normen zu produzieren, ohne sie zu kommunizieren und ohne sie begründen zu müssen. Sie können, wie die Tech nikgeschichte gezeigt hat, wirksamer sein als gesetzgebende Apparate. 124
    Ihre Funktionsfähigkeit ist ihr Argument, und sie arbeiten in den Köpfen selbst dann noch, wenn sie in der wirklichen Welt längst verschrottet sind. Ohne je eine Dampfmaschine gesehen zu haben, sagen Menschen bis heute: Ich stehe unter Dampf. Weil Maschinen intuitiv verständlich sind.
    So wie das Sicherheitsventil der Dampfmaschine, »governor« genannt, das ausreichte, um die Idee sich selbst regulierender Systeme und damit die des Liberalismus zu begründen. 125
    Der

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