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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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Neuchâtel, schrieb, wenn er in Laune war: »Ich denke, also bin ich«. Manchmal aber auch: »Ich denke nicht, existiere ich dann überhaupt?«
    Hobbes, der Verfasser des »Leviathan«, hatte den Menschen zum Automaten erklärt, um den Staat zum menschlichen Automaten werden zu lassen: »Denn was ist das Herz anderes als eine Feder, was sind die Nerven anderes als lauter Stränge und die Gelenke anderes als lauter Räder?«
    Es war ein Weltbild, das für die Bedürfnisse der anbrechenden Neuzeit, ihren ökonomischen Drang nach Effizienz und Ausnutzung und ihren politischen Willen zur Kontrolle durch ein Zentralgehirn wie geschaffen war.
    Und es war die eigentliche Mission der Automaten: zu zeigen, wie ein Mensch funktionieren würde, wenn er eine Maschine wäre. Der Zugang ins Innere der Androiden war der Zugang ins Innere des Menschen, denn indem die Menschen ins Innere der Maschine blickten, veränderte die Maschine das Innere ihrer Köpfe. Der Flötenspieler und der Trommler und die Tänzerin und sogar die Ente waren Weltbildfabriken.
    Die Menschen sahen, wie sie sich selbst sehen sollten: als ein Ineinandergreifen von Zahnrädern, elastischen Federn und Hydrauliken, die alle abhängig waren von der mechanischen Zentraleinheit. Wenn eine Ente so funktionierte, dann auch der menschliche Körper minus Seele. Und bald schon redeten die Menschen in den Pariser Salons davon, dass ihre »Triebfeder« erlahmt sei und wieder aufgezogen werden müsse. Wenn der Körper so funktionierte, dann doch wohl auch der Staat oder eine Ökonomie …
    Diese Androiden waren nichts anderes als informationsverarbeitende Systeme, und das war genau das, was die Monarchen und Institutionen als Organisationsidee benötigten. Kurz darauf hatte Friedrich II., wie Michel Foucault berichtet hat, seine Armee in einen »Automaten« mit mechanisch gedrillten Bewegungsabläufen verwandelt. Napoleon, der die Automaten ebenso sehr liebte wie Friedrich, lernte schnell und perfektionierte Schulen, Krankenhäuser, Verwaltung, die so zu Apparaten wurden. An erster Stelle aber und vor allem anderen perfektionierte er die Ökonomie.
    Man muss sich die Voltaires oder La Mettries, die Friedrich sich an seinen preußischen Hof holte, immer auch wie die McKinseys des 18. Jahrhunderts vorstellen. La Mettries »Der Mensch als Maschine« kann man als Bauanleitung für das preußische Heer, gewiss aber auch für das Weltbild von Friedrichs Untertanen lesen.
    Von überall her, von Immanuel Kant in Königsberg bis zum französischen Arzt und Ökonom Fran Ç ois Quesnay (1694–1774), kamen Expertisen, bis zu welchem Organisationsgrad der Staat eine Maschine sei und ab wann die Maschine aus dem Staat eine Tyrannei machen würde. Aber entscheidender war, was der Historiker Simon Schaffer die Geburt der »Techno-Politik« nannte.
    Man muss sich nur ansehen, was Quesnay und die automatenbauenden Wunder-Ingenieure in Paris unternahmen: Sie träumten von Maschinen, die nicht nur die gesamte menschliche Anatomie, jeden Knochen und jedes Knöchelchen nachahmen, sondern auch die Muskeln, und mithilfe von hydraulischen Geräten den Blutkreislauf simulieren würden. Dass der menschlichen Körper als Kreislauf konzipiert war, hatte sich bei den meisten Ärzten noch nicht herumgesprochen. Sie hingen noch an Galens Theorie, dass das Blut in der Leber entsteht und über Blutgefäße wieder versickert.
    Quesnay schlug vor, die Ärzte von diesen falschen Vorstellungen buchstäblich zu heilen: mit Automaten, die es ihnen zeigten. So würden sie gleichsam reine Inspektion werden, ein absolutes Hineinsehen in die Zirkulation des Blutes, vielleicht die erste 3-D-Simulation und das erste Staubkörnchen des virtuellen Urknalls, der zwei Jahrhunderte später durch die Computerpioniere erfolgen würde.
    Das klingt harmlos und nach Biologieunterricht. Aber wie die Mechanik der Zahnräder den Staat, so sollten Zahnräder plus hydraulischer Kreislauf auch für immer das Selbstverständnis der Ökonomie verändern. Der automatisierte Körper wurde zum Körper des Menschen, und der Körper des Menschen zum Organismus der Ökonomie. Das Blut – das Geld oder der Wohlstand – floss zwischen Großgrundbesitzern, Handwerkern und Bauern. Dabei wirken die Handwerker wie die Venen, die Bauern wie die Arterien und die Großgrundbesitzer, die das Kapital liefern, als das Herz. 116
    Der Wohlstand selbst konnte nur durch die Natur entstehen, denn sie, so Quesnay, war der einzige Ort, in dem etwas aus

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