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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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Futter mit großem Appetit verschlingt, maßvoll trinkt, sich freut, wenn sie getrunken hat, dann ihr Gefieder ordnet, eine Weile innehält und sich schließlich erleichtert …« Kaiserin Maria Theresia besaß eine Maschine, die schreiben konnte.
    In den Tuilerien lauschten Tausende für einen Eintrittspreis von 24 Sous dem Lied des Flötenspielers (in dessen Instrument eine Luftpumpe verborgen war), und die »meisten konnten zuerst nicht glauben, dass die Musik wirklich aus dem Automaten kam«. 111
    Am populärsten waren die Automaten, die wie Menschen aussahen. Diderot suchte für sie in seiner Enzyklopädie einen Namen, der mehr bedeutete als »Automat« und weniger als »Mensch«. Sie hießen fortan »Androiden«, die menschenähnlichen Maschinen.
    Der Superstar der Spezies wurde die »Musikerin«, eine Organistin, von der ein Betrachter bemerkte, sie sei »erkennbar aufgeregt, mit einer Ängstlichkeit und Schüchternheit, die man selten im wirklichen Leben antrifft«. 112
    In Frankreich wurde damit begonnen, den »anatomischen Menschen« zu bauen, Silbererzminen wurden simuliert, in denen die Minenarbeiter wie kleine Automaten funktionierten.
    Nach den Monarchen, den Handwerkern, den Bauern meldeten sich, wie stets bei einer bahnbrechenden Technologie, die Denker zu Wort. Und so unterschiedlich sie auch dachten, sie alle verglichen Jacques Vaucanson (1709–1782), den Erbauer der Ente und des Flötenspielers, mit Prometheus, dem edelsten unter den Titanen, der den Lebensfunken entzünden konnte: Jean-Jacques Rousseau, der Philosoph des »natürlichen Menschen«, tat es; La Mettrie, der genau zehn Jahre später das Buch »Der Mensch als Maschine« veröffentlichte, tat es; und Voltaire tat es besonders gern. Er stachelte mit den Elogen auf »Prometheus II« den Preußenkönig Friedrich II. an, der vergeblich versuchte, Vaucanson nach Berlin zu locken. Als das nicht gelang, ließ sich »der pedantische König der kleinen Ma schinen«, wie ihn Michel Foucault nannte, eigene Automaten bauen.
    Verzückt blickten die Menschen also auf die perfekten Maschinen, deren metallene Oberflächen die vollständige Illusion herstellen sollten, und wussten doch nicht, was sie sahen. Ein paar Leute, so berichtet Vaucanson, hätten sich beschwert, dass die Ente perforierte Messingfedern habe und kein wirkliches Gefieder. »Aber mein Design«, erläuterte er, »sollte die Abläufe zeigen und nicht eine Maschine.« 113
    Denn die wunderbaren Oberflächen, diese perfekte Simulation von lebendigen Wesen, hatten nur einen einzigen Zweck: geöffnet zu werden. Manche, wie der Flötenspieler oder die Tänzerin, durch eine Tür, andere, wie die Ente, durch Transparenz, die den ungehinderten Blick in ihre innere Mechanik ermöglichte.
    Das Publikum sollte die Zahnräder und Metallfedern, das ganze innere Uhrwerk des künstlichen Lebens sehen – angeblich, um zu verstehen, wie Leben und Bewegung funktioniert. Vaucanson selbst forderte in seinen Lebenserinnerungen den Leser noch mal geradezu auf, die Maschinen zu inspizieren, um zu erkennen, »dass die Natur korrekt imitiert wurde«. 114 In Wahrheit aber ging es um etwas ganz anderes: Die neugierigen Menschen, die die Automaten ahnungslos anstarrten, wurden zu Versuchstieren eines sozialen Experiments. Durch ihre Inspektion sollten sie selbst zum Teil der Maschine werden. Die Maschine war wunderbar; und sie war eine Bedrohung. Wunderbar, denn in den Augen der Zeitgenossen atmete dieses künstliche Leben die Magie der Alchemisten und das Genie der modernen Ingenieure. Eine Bedrohung, denn sie waren Erfüllungsgehilfen einer politischen Idee: die Menschen selbst zu Automaten zu machen.
    Dass Tiere ja auch nichts anderes als Automaten seien, hatte bereits der Philosoph René Descartes in die Köpfe gebracht: Der Mensch unterscheide sich von Tieren nur, weil er eine Seele habe. Joseph Spence, der die Ente 1741 in Paris sah, schrieb sogleich einen Brief an seine Mutter, in dem er den Gedanken weiterspann: Gute Künstler könnten »ein Tier aus einem Uhrwerk machen, das alles das könnte, was ein wirkliches Tier kann«. 115
    Doch wer redet von Tieren? Der Mensch ist alles. Die perfekten Automaten stellten die Sache mit der Seele irgendwann infrage; spielerisch und womöglich ironisch, ungefähr so, wie der erste Second-Life-Hype im Netz, als man glaubte, irgendwelche Avatare könnten das werden, was man Leben nennt.
    Eine der Maschinen, ein Schreibautomat des großen Uhr machers Jaquet-Droz aus

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