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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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und in analytischen Modellen verbriefen, was irgendwie aufgezeichnet worden ist. Allein für die USA rechnet McKinsey bis 2018 mit einem Bedarf von mindestens 200 000 Daten-Analysten, die die Systeme in ihrer Tiefe verstehen. Dazu kommen weitere gut 1,5 Millionen Daten-Trader, die sie verwerten, formatieren und mit ihnen Handel treiben. 183
    So liefert der Computer die Möglichkeit, die gesamte mensch liche Gesellschaft als Maschine zu berechnen. Oder anders gesagt: eine ganze Gesellschaft ins Innere der Maschine zu locken. Forscher erklären der »New York Times«, »dass die Lagerhallen von ›Big Data‹ zum ersten Mal soziologische Gesetze des mensch lichen Verhaltens offenbaren werden – sie werden es ihnen ermöglichen, politische Krisen, Revolutionen und andere Er scheinungsweisen politischer und ökonomischer Instabilität vorherzusagen, genauso wie Physiker und Chemiker natürliche Phänomene vorhersagen können«. 184
    Was das bedeutet, sagt mit bemerkenswerter Offenheit und Freude der in Harvard lehrende Soziologe Nicholas Christakis:
    »Wenn man einen Sozialwissenschaftler vor 20 Jahren nach seinem größten Traum gefragt hätte, hätte er gesagt: ›Es wäre unglaublich, wenn wir einen mikroskopisch kleinen Black-Hawk- Hubschrauber haben könnten, der ständig über Ihnen kreisen und alles beobachten würde: wo Sie sind, mit wem Sie reden, was Sie kaufen, was Sie denken, und der das alles ununterbrochen in Echtzeit macht, gleichzeitig für Millionen von Menschen.‹ Und genau das ist es, was wir jetzt bekommen.« 185
    Das alles klingt erregend für Technokraten, aber beängstigend für Humanisten, die den Schatten des Großen Bruders wachsen sehen, so schnell und schwarz, dass sogar einer, der an der Konstruktion der neuen Industrie maßgeblich beteiligt ist, sicherheitshalber darauf hinweist, dass »George Orwell bei Weitem nicht fantasievoll genug war, als er 1984 schrieb«.
    Doch die Angst vor der Science-Fiction-Zukunft unterschätzt die Gegenwart, in der wir leben. Natürlich ist es nicht falsch, sich auf das Schlimmste vorzubereiten, auf jene Stormtrooper, anonymen Massen und eisigen Maschinen, mit denen Apple in einem legendären Werbefilm des »Alien«-Regisseurs Ridley Scott im Jahre 1984 für seinen ersten MacIntosh warb, um zu sagen, dass 1984 nicht 1984 ist. Denn es geht gar nicht darum, dass der große Diktator zuschlägt und eine Gesellschaft in ein Gefängnis verwandelt. Es geht darum, dass eine Gesellschaft sich in eine Falle begibt, aus der sie nicht mehr herauskommt.
    Zu beklagen, der Big-Data-Computer reduziere menschliches Verhalten in unzulässigem Maße auf mathematische Modelle, so, als seien Menschen Aktien und ihre Handlungen Transaktionen, und zu sagen, man müsse alles tun, damit der Berechnung von Menschen Grenzen gesetzt werden, heißt nichts anderes, als spätzünderhaft eine zu lange Reaktionszeit zu benötigen: heißt, dem Computer unrecht zu tun, und heißt, der Gesellschaft, die ihn schuf, allzu viel zu verzeihen. Big Data wird mit Multi-Agenten-Systemen arbeiten, die gar nicht anders können, als mit dem Ego von Nummer 2 und spieltheoretischen Formeln die Welt des Sozialen zu analysieren.
    Unsere neue technische Welt reproduziert bis ins Detail das ökonomische Weltbild, das neoklassische und neoliberale Ökonomen seit den Fünfzigerjahren entwickelt haben. Denn was jetzt geschieht, ist keine technisch-physikalische Revolution.
    Jedes iPhone, jede Datenbrille, jeder geniale Finanz- oder Werbe- oder Suchalgorithmus ist in erster Linie ein Ereignis der sozialen Physik und dient der Installation des Menschen in ein neues ökonomisches System. »Der Automat simuliert einen Menschen, wenn der Mensch automatengerecht simuliert wurde.«
    Jeder, der ein Buch wie dieses als E-Book liest (oder in die Kindle-Bücher der Bibibliografie schaut), kann das sofort nach vollziehen: Die Daten der E-Book-Leser – Unterstreichungen, übersprungene Seiten oder Kapitel, Lesedauer – werden an Zentralen zurückgemeldet, die daraus ihre Schlüsse ziehen. Und zwar so konkret, dass mittlerweile schon fertige Bücher mithilfe des Rückkoppelungseffekts umgeschrieben werden. Der E-Book- Leser ist in der Sekunde, in der er anfängt zu lesen, handelnder Agent auf einem Markt.
    Die neoliberalen Vordenker des neuen Informationskapitalismus sprachen seit der Reagan-Zeit vom Computer genauso. Sie riefen das Zeitalter der sozialen (Quanten-)Physik, der »Überwindung der Materie« und der

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