Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
»Modernisierung« des Marktplatzes aus, eine heilige Dreifaltigkeit, in der es ausschließlich um die Optimierung von Gewinnchancen ging.
Es ist eine beunruhigende Freude, die sich da kundtut, und der ständige Verweis der Ideologie, man würde etwas für die Menschen tun, macht es nicht besser. Ohne Scheu sagt Dirk Helbing, der an der ETH in Zürich mit Futuri CT einen der größten Datensammler des Planeten aufbauen will und dafür eine Milliarde von der EU beantragt, worum es geht:
»Es ist sehr wichtig, dass wir lernen, soziales Kapital wie Vertrauen und Solidarität und Pünktlichkeit zu messen. Das ist wichtig, um daraus einen ökonomischen Wert zu erschaffen … Wenn wir lernen würden, wie man Vertrauen stabilisiert oder Vertrauen aufbaut, wäre das wirklich sehr viel Geld wert.« 186
Der Fehler dieser Vision zeigt sich an nichts so deutlich, wie an dem blinden Fleck, durch den die Sozialingenieure von »Big Data« das Problem ihrer selbsterfüllenden Prophezeiungen ignorieren können. Nichts haben sie aus den Erfahrungen der Finanzmärkte gelernt als die Gier nach noch mehr Daten, noch mehr Vernetzung, noch mehr Echtzeit. Dabei haben sie insbesondere auf dem Gebiet der Seuchen- und Epidemieprognostik, auf die sie so stolz sind und die immer wieder als politische Begründung für noch mehr Daten herangezogen wird, enorme Fehlresultate produziert. Der Statistiker Alexander Ozonoff von der »Harvard School of Public Health« hat in den letzten Jahren eine signifikante statistische Korrelation zwischen Krankheiten und ihrer medialen Verbreitung festgestellt: Je mehr man davon in der Zeitung liest, desto häufiger wird sie festgestellt.
»Wieder und wieder und wieder erkennen wir, dass je stärker eine bestimmte Krankheit in den Köpfen der Menschen ist und je mehr sie sich im Zentrum öffentlicher Debatten befindet, die Diagnose an die 100 Prozent heranreicht.« 187
Vieles spricht dafür, dass dies auch auf die rasante Verbreitung der Schweinegrippe zutraf. Je mehr Medien klick- und algorithmengesteuert sind und in Echtzeit kommentieren, desto stärker wird dieser Trend. Den »Black Friday« mit seiner selbstverstärkenden Panik wird es im Zeitalter von »Big Data« eher häufiger als seltener geben.
Doch auch jenseits von Massensuggestionen sind die Freunde von »Big Data« oft erstaunlich schlecht in dem, was sie sich zuschreiben: der Vorhersage. Nicht nur an den Börsen, in fast allen Bereichen, in denen wir die Möglichkeit haben, die prognostische Qualität zu überprüfen (und es gruselt einem, bei all den Bereichen, wo wir keine Ahnung haben, ob Vorhersagen überhaupt evaluiert werden).
Das einflussreiche Prognoseinstitut ECRI , das in keiner Börsensendung fehlen darf, empfiehlt sich mit dem beruhigenden Satz: »So, wie Sie nicht genau wissen müssen, wie ein Automotor funktioniert, um sicher zu fahren, so müssen Sie auch nicht alle Details der Ökonomie verstehen, um die Instrumente richtig zu lesen.« Zuletzt machte ECRI mit einer dramatischen Fehlprognose von sich reden, die einer der seriösesten amerikanischen Statistiker, Nate Silver, lakonisch so kommentiert: »Wer braucht noch eine Theorie, wenn man so viel Informationen hat? Aber das ist die völlig falsche Haltung … ECRI hat eine Zufalls-Suppe aus Variablen und verwechselt Korrelationen mit Ursachen.« 188
Auch hier sind die Finanzmärkte nur der Vorreiter. Wir wissen wenig darüber, was in Steuerbehörden, bei Einreiseämtern, bei Krediten, bei Personalchefs an prognostischer Software zum Einsatz kommt. Doch was man aus anderen Bereichen, etwa der Medizin, hört, reicht aus, einen vorsichtig werden zu lassen.
Nate Silver erwähnt eine 2005 veröffentlichte Studie, in der der Autor medizinische Prognosen über Medikamente, die sich in der Erprobung befanden, untersuchte. Zum Ärger der Fachwelt wurde bewiesen, dass die meisten dieser Prognosen falsch waren. Und seine Studie wäre vergessen, wenn nicht wenig später der Bayer-Konzern die Ergebnisse noch eindrucksvoller bestätigt hätte: Zwei Drittel der in medizinischen Studien behaupteten positiven Ergebnisse (veröffentlicht in führenden Fachzeit schriften) ließen sich experimentell nicht wiederholen. 189
Das Gleiche gilt für die Immobilienblase der USA . Die Rating-Agenturen verfügten über prognostische Software und hatten ein komplexes Marktüberwachungssystem installiert. Dass sie die toxischen Papiere dennoch so positiv bewerteten, erklärten sie später mit
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