Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
Konsequenz jenes ökonomischen Imperialismus, der in der Rechenmaschine sein perfektes Instrument gefunden hat. Auf einen Soundbyte gebracht: Wir dachten, Silicon Valley würde die Welt erobern. Nein, eine bestimmte Spielart der Ökonomie (die im Kern neoklassisch ist, aber längst darüber hinauswächst) hat die Welt erobert – und sie erobert jetzt das Silicon Valley. Einer der Rezensenten von John Davis’ grundlegender Studie über die Auslöschung des Individuums in der »politischen Ökonomie« hat dies auf den Begriff gebracht: »Für neoklassische Ökonomen … ist dies alles irrelevant. Davis könnte genauso gut über …Schachfiguren schreiben, denn das abstrakte, atomistische Individuum ist genauso wenig komplex und genauso wenig mit der Welt verbunden wie … Schachfiguren.« 192 Das ist es, was Ullman intuitiv spürte, und gäbe es heute einen literarischen Dadaismus von Rang, er würde den Menschen als Schachfigur porträtieren, die Poker spielt.
Hier liegt der Grund, warum »rational choice«-Theorie und Spieltheorie im Silicon Valley so ein aufnahmebereites Publikum gefunden haben. Die digitale Elite hatte seit den Urzeiten von RAND eine Reihe von Annahmen über Rationalität getroffen, von der reinen Computerwissenschaft und Informationstheorie, Statistik bis zum Design (die Bauhaus-Architektur hat das Silicon Valley mehr beeinflusst als alle Theorien – wie ein Fisch schwamm sie gewissermaßen im Ozean der »Rationalität«). Wie konnte man da einer Theorie widerstehen, die nichts zurücklässt vom Menschen außer seinen Präferenzen plus seiner egoistischen Motivation, sie zu verwirklichen, und die darüber hinaus alles andere als eine Nutzenmaximierung des Einzelnen für nicht-rational hält? 193
Wir wollen, was wir wollen – die Neoklassik interessiert sich nicht dafür, warum wir etwas wollen. Unsere Interessen, heißt das, kommen von außen, und genau hier sitzt im digitalen Zeit alter die Informationsökonomie an der Schlüsselstelle. Deshalb überall Empfehlungen »like it«, »your preferences«, individualisierte Suche. Google (aber auch viele Finanzalgorithmen, Facebook und ebenso die Filterfunktionen von Überwachungssoftware) behauptet auf ziemlich arrogante Weise, dass es unsere Präferenzen aufdeckt: Seine Voraussagen, Empfehlungen und Steuerungen sind wie ein Spiegel, der unsere Wünsche reflektiert.
Nehmen wir, als einfaches Beispiel, nur, was Eric Schmidt, der heutige Google-Aufsichtsratsvorsitzende, über »autonome Su che« sagt. Unsere Handys, so Schmidt, suchen unablässig für uns, und sie werden vorhersagen können, was wir tun sollten oder wollen. »Es weiß, wer ich bin. Es weiß, was mich interessiert. Es weiß ziemlich genau, wo ich bin. Das ist die Idee der autonomen Suche – die Fähigkeit, mir Dinge zu sagen, die ich nicht wusste, aber die mich wahrscheinlich interessieren, ist die nächste Stufe bei der Suche.« 194 Oder man denke an die neuen Funktionen, die Google Maps verspricht. Eine App, die als Navigationsgerät funktioniert, sagt nicht nur, was man sieht, sondern auch, was man mögen wird. »Um die Ecke wurde eine Szene deines Lieb lingsfilms gedreht«, könnte sie nach Meinung des »Atlantic Wire« zum Beispiel sagen. 195 Es ist absolut ausgeschlossen, dass solche Systeme funktionieren können, ohne dass Annahmen über den Nutzer getroffen werden. Es können nach Lage der Dinge keine anderen Annahmen sein, als die, die auch Spieltheorie und Rational-Choice-Theorie getroffen haben.
Man darf nicht vergessen, dass es für Nummer 2 mehr auch nicht bedarf: nicht beim Konsum, aber auch nicht in marktfernen Umgebungen, bei Wahlen oder sozialen Kontakten.
Vieles davon ist wunderbar, nicht nur bei der Internet-Suche. Eines Tages wird Google herausfinden, dass wir ins Kino gehen wollen, und uns einfach im selbst fahrenden Auto abholen und dorthin fahren. Und damit kein Missverständnis entsteht: Die »Empfehlungen« von Google, vor allem aber auch von Amazon, funktionieren im Augenblick sehr gut. Überhaupt sind Annahmen über die Rationalität, die »Absichten« und das »Ich« des Menschen (oder Users) unausweichlich. Menschen haben früher ihrem Buchhändler vertraut, jetzt legt ihnen Amazon noch ein paar andere Bücher, die den Kunden interessieren könnten, auf den Ladentisch. Designer von Datenbanken für Bibliotheken wissen, dass es unmöglich ist, riesige Detailinformationen über jeden einzelnen Leser zu codieren – es wird vielleicht einmal möglich
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