Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
gewichten teilweise identisch, nur die Preisfindung – die »Wahrheit« – unterscheidet sich noch.
Was das bedeutet, kann man am besten erkennen, wenn das Subjekt identifiziert ist, in das sich, finanzmarkttechnisch gesprochen, ein Investment lohnt. Dazu werden Data Mining und voraussagende Algorithmen eingesetzt, die heute bereits bei jeder Einreise in die USA zur Anwendung kommen. Wenn in der Welt der Informations-Markt-Staaten eine unabhängige Jury – die sich etwa Friedrich Hayek als einen »Rat der Weisen« für moderne Demokratien vorstellt – überzeugt ist, dass der inhaftierte Terrorist gelogen hat, können laut Bobbitt Zwangsmaßnahmen angewendet werden »wie Schlafentzug, Isolation und das Verabreichen von Drogen. Wo es keinen ernsthaften Schmerz gibt, gibt es keine Folter«. 182
Man muss fairerweise zugeben, dass Bobbitt in diesen konkreten Fällen eine ganze Reihe legaler Einschränkungen vorsieht (»Keine Folter aus politischen Gründen«) und von dem Szenario der »ticking bomb« ausgeht. Also der Situation, in der ein Verdächtiger weiß, wo die schon tickende Bombe versteckt ist. Allerdings wird dieses Zugeständnis dadurch wieder kassiert, dass er, wie etwa Niall Ferguson lobend hervorhob, die bisherige Praxis der Anwendung von Wahrheitsdrogen und »milder Folter« nicht verwirft, sondern nur ihre fehlende legale Grundlage kritisiert. Sie muss reguliert werden, wie ein Finanzmarkt. Die amerikanische Praxis der Entführung und geheimdienstlichen Befragung mutmaßlicher Terroristen in Drittstaaten, in denen Folter erlaubt ist, nennt Bobbitt ein »Outsourcing in unregulierte Märkte«.
Er macht klar, dass er solche Methoden ablehnt, und zwar deshalb, weil sie außerhalb des Rechts stattfinden. Das Recht muss sich evolutionär anpassen, und in der Praxis heißt das, dass die besagte Jury aus vernünftigen, anonymen Leuten, die »zufällig aus der größten denkbaren Zahl« ausgewählt werden, über die Art der Informationsgewinnung bei Terroristen entscheidet. Sie agieren »nicht als Vertreter der Regierung, sondern der Gesellschaft, für die diese Regierung agiert«.
Es ist klar, dass das ganze hier entwickelte System davon abhängig ist, wer Terrorist ist. Vergisst man für einen Augenblick die eindeutigen Fälle, dann ist klar, dass alles an der Zuschreibung hängt. Bobbitt selbst weist darauf hin, dass ein Mann wie der Résistance-Held Jean Moulin von den Nazis als Terrorist behandelt wurde und dass die Nazis es waren, die den Begriff Terrorismus für den französischen Widerstand einsetzten. Eine Antwort darauf, wie man verhindert, dass sich unter dem neuen Feindbegriff eines internationalen Krieges auch Unschuldige als Terroristen wiederfinden – und die Praxis in Guantanamo schwächt die Zweifel nicht ab –, hat Bobbitt nicht. Was ist, wenn die Jury zu dem Urteil kommt, der Verdächtige sei ein Terrorist und er wisse, wo die tickende Bombe versteckt ist? In einer Welt voller Möglichkeiten der digitalen Simulation, des Identitätsdiebstahls, ganzer Kriege, die mit Lügen über versteckte Massenvernichtungswaffen legitimiert werden, und schließlich, wie an den Finanzmärkten gesehen, der Möglichkeit, systematisch trügerischen Anschein zu erwecken, fällt die Antwort darauf sicher alles andere als beruhigend aus.
Nicht Überwachungsstaaten sind in den Augen Bobbitts die Organisationsformen der Zukunft, sondern Überwachungsmärkte in demokratischen Staaten. Sie screenen nicht nur die potenzielle Bedrohung von außen, sondern auch den Konsens der Bevölkerung, der nichts anderes ist als eine Konsumentenentscheidung des permanenten Wählers.
Das eine ist ohne das andere nicht zu haben, und in beides muss viel Geld und viel Technologie gesteckt werden. Es ist genau das, was jetzt der nächste große Hype zu werden beginnt.
21 Big Data
Nummer 2 fliegt im Hubschrauber über jedem Kopf
D ie Unternehmensberatung McKinsey hat soeben eine neue Phase des »Kapitalismus« verkündet, für die Märkte des Sozialen einen ähnlichen Informations- und Geschwindigkeits-Urknall prognostiziert, wie er sich in den Finanzmärkten ab 2004 ereignet hat. Der neueste Trend heißt »Big Data«, ein gewaltiges Universum von miteinander vernetzten Daten, die in Data-Supermärkten gekauft und verkauft werden können und die, von den Sternen bis zum Morgenkaffee, von Vibrationen, Geräuschen, Blutwerten bis zu bösartigen Kommentaren im Internet, potenziell alles miteinander in Beziehung setzen, austauschen
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