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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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sein, vor allem im Zeitalter der E-Books, aber bis dahin sind Simplifizierungen unumgänglich. Das gilt auch für politische Informationen, gesellschaftliche Debatten, Angebote von Argumenten und Thesen. Die Schlüsselfrage ist nicht, wie man Vereinfachungen vermeidet, sondern welche Art von Vereinfachungen für uns akzeptabel sind und welchen Interessen sie dienen.
    Was aber, wenn genau das geschieht, was wir bereits bei den Flash-Crashs beobachtet haben? Was, wenn die Systeme unsere Präferenzen nicht abbilden, sondern aktiv erschaffen? Dann wäre technologischer Determinismus endgültig sozialer Determinismus geworden. Dann ist der Mensch das, was andere für seine Präferenzen halten, nicht nur Amazon, sondern auch die Freunde auf Facebook, die Familie, Personalabteilung, die Bank, die Behörden, oder, wie wir noch sehen werden, Karriereportale wie Linkedin; und dann mag er sich noch so oft sagen, dass es viele Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die nicht der Nutzenoptimierung und dem Egoismus dienen – eine Welt, die seine Präferenzen für ihn enthüllt und verkauft, gibt ihm keine Chance, etwas anderes zu sein als eine Ego-Maschine, wenn er als rationales Wesen gelten will. Alles unterliegt dann Marktgesetzen, auch politische und soziale Präferenzen einer permanent gescreenten Gesellschaft. Doch Fragen der Relevanz können niemals ausschließlich über Märkte beantwortet werden. Sie sind politische Entscheidungen.
    Ellen Ullman war nur der Prototyp, den die neue Informationsökonomie schuf. Jérôme Kerviel vor seinem Richter ist das kriminelle Spiegelbild. Menschen können nicht lange einer Umwelt des automatisierten Egoismus ausgesetzt werden, ehe sie den Preis, um den doch alles geht, zahlen müssen. Unsere Zivilisation projiziert ihre Wünsche immer wieder in ihre Werkzeuge, aber Technologie ist immer abhängig von institutionellen Zielen und Zwecken.
    Was dachten Leute wie Ellen Ullman, und was denken viele noch heute? Es ist die alte Geschichte von der Technologie als trojanisches Pferd. Aber es funktioniert so nicht. Es hat so niemals funktioniert. Es hat nur funktioniert, wenn Institutionen und Mächte sich der Technologie bedienten, wie Friedrich der Große sich der Automaten bediente, um sie als trojanischer Android in das Denken seiner Untertanen einzuschleusen.
    Die Werkzeuge blühen und gedeihen, ihre Macht wird groß und größer, doch der Einzelne wird in Wahrheit abhängiger und möglicherweise immer schwächer. Der kalifornische Psychologe Raymond Barglow beschreibt, wie die Informations-Ökonomie den Einzelnen buchstäblich von aller Identität »entkleidet« und am Ende der Traum eines Hightech-Angestellten des Silicon Valley übrig bleibt: »Bild eines Kopfes … und daran angeschlossen eine Computer-Tastatur … Ich bin dieser programmierte Kopf.« Es ist, wie der nüchterne Manuel Castells in einem seiner wenigen pathetischen Momente feststellt, das Bild absoluter Einsamkeit.
    Ullman beschreibt eine soziale Erfahrung in »Close to The Machine« – und es ist egal, ob die Maschine ein Computer oder ein von Computern instruierter Mensch ist (was jeder merkt, der gegen ihn recht behalten will). Es gibt nichts, was man weniger belangen kann als einen Computer, und es gibt nichts, was man weniger belangen kann als den Markt, den er repräsentiert.
    Computer und Markt haben immer recht, wie sich in großem Maßstab in der Finanzkrise gezeigt hat, auch dann, wenn sie nicht recht haben können. Spieltheoretisch gesprochen, zahlt der, der entnervt den Download abbricht, für seine unfreiwillige Kooperation, die allen anderen erlaubt, das Spiel weiterzuspielen, einen Preis.
    Moralisch muss in einer Welt, gegen die kein Einspruch möglich ist, jeder die »Schuld« bei sich selbst suchen. Das ist der Kern der neuen Ideologie und das Wesen von »Winner-takes-it- all-Gesellschaften«: Jeder kann alles sein. Youtube-Star, 50-Shades- of-Grey-Bestsellergigantin, mit einem guten Witz oder einem Video zum Star von Millionen werden, aus der Beleihung von nichts Geld machen und Häuser kaufen usw. Erst dann, wenn jeder das glaubt und bereit ist, den Platz als Verlierer zu verlassen, ohne irgendjemand anders als sich selbst oder das Glück anzuklagen, ist die große Pokerrunde wirklich eröffnet.
    Würde man das so klipp und klar sagen, keiner würde dieses Spiel freiwillig mitspielen. Nummer 2 musste feststellen, dass trotz all der theoretischen Vorarbeit der Widerstand dieses Ichs enorm war. Deshalb

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