Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

musste es auf anderem Wege zur Strecke gebracht werden. Nicht, um Susan Sontag zu zitieren, indem man es tötete, sondern indem man es löschte.

TEIL ZWEI
    DIE OPTIMIERUNG
    DES MENSCHEN

23 The Secret
    Gebrauchsanleitungen für das Spiel des Lebens
    U m eine Maschine zu verstehen, lese man die Gebrauchsanweisung. Der neue Informationskapitalismus bietet sie an unerwartetem Ort.
    Eine ganze Branche bietet Handreichungen. Ihre erfolgreichs ten des letzten Jahrzehnts lauten: »Das ultimative Geheimnis, um absolut alles zu bekommen«, »Keine Grenzen«, »Bestellungen beim Universum« und »The Secret«. Sie garantieren, dass man durch seine Gedanken und Gefühle – wie »Newsweek« entgeistert registrierte – »die physische Realität verändern kann – die Lottozahlen und die Handlungen und Gedanken von Menschen, die man nicht einmal kennt und die nicht einmal wissen, dass man existiert«. Alles ist möglich, alles ist grenzenlos. Die Verheißung ist das seelische Gegenstück zur Globalisierung.
    Die rasant wachsende Anzahl dieser Handreichungen – allein 50 Millionen verkaufte Lebensratgeber im Businessbereich – erzwingt freilich den Umkehrschluss: Offenbar teilen immer mehr Menschen das Gefühl schrumpfender Möglichkeitshorizonte und greifen deshalb nach Produkten des kosmischen Supermarkts. Deren Versprechen stehen in so krassem Widerspruch zu jeder Lebenserfahrung, dass man ihre Etiketten rückübersetzen muss: Das »ultimative Geheimnis, um absolut alles zu bekommen« heißt nichts anderes, als dass es für niemanden ein Geheimnis ist, dass man absolut nichts bekommt.
    Erstaunlicherweise gibt es kaum Reklamationen, weder beim Universum noch bei den Autoren. Denn ihnen gelingt es, den Käufern einzureden, dass es an den Kunden selbst liegt, wenn die Ware nicht funktioniert.
    Die Journalistin Barbara Ehrenreich, die einige der angesagten Selbsterfindungsfabriken besucht hat, nennt es einen der einsamsten Momente ihrer Recherche, als ein Coach auf ihre Beschwerde »Es funktioniert nicht« lächelnd antwortet: »Sie meinen, es funktioniert nicht bei Ihnen.« 196
    Wer in die strahlende Lobby der »Erfolgsgeheimnisse eines Millionärs« eintritt, dem ruft es, wenn er gleich durch die Drehtür wieder hinausfliegt, höhnisch hinterher: Alles ist möglich, nur nicht für dich.
    Die Fähigkeit, Materie aus der Vorstellung, aus der »Imaginatio«, zu schaffen, war ein uralter Traum magischer Zeitalter. Man ist versucht, ein Evangelium, das jedes spirituelle Angebot macht, wenn nur die Nachfrage genug artikuliert ist, als typischen So zialhumbug amerikanischer Business-Philosophen abzutun. Wer außer ein paar weltfremden Tagträumern glaubt schon angesichts von Ressourcenknappheit und Wachstumsskepsis an unendliche Rohstoffe in der immateriellen Welt, die man in der Wirklichkeit jederzeit realisieren kann? Die Antwort lautet: Nicht die Tagträumer glauben das, sondern die dominanten ökonomischen und politischen Eliten der westlichen Welt.
    Es ist nämlich genau das, was in der Wall Street geschehen ist, als virtuelles Geld seinen ohnehin schon nicht existenten Wert noch dadurch vervielfachte, dass man es als Kredit verlieh.
    Auf der Seite des einzelnen Menschen geht es jetzt um das, was die Kritiker von Nummer 2 und der Spieltheorie vorausgesagt haben: Jeder Mensch muss zum Manager seines eigenen Ichs werden. Er muss seine Identität wie bei einem ewigen Po kerspiel immer wieder neu durch Taktiken, Strategien, Bluffs und Spielzüge produzieren. Die kosmischen Supermärkte sind nur die auffälligsten, deshalb auch verräterischsten Adressen einer neuen folgenreichen Superstruktur, die im Begriff ist, die Beziehung des Einzelnen zur Gesellschaft und die Beziehung des Menschen zu seinem eigenen Selbst vollständig zu verändern.
    Mit den katastrophalen Folgen dieses Denkens hat die Welt seit mehr als einem Jahrzehnt zu tun. Dass man den Boden unter den Füßen zu verlieren scheint und alle Gewissheiten volatil geworden sind, erklären sich viele immer noch mit dem moralischen Versagen Einzelner. Die Finanzkrise wird mit Gier oder Geiz, also den Schwächen einiger Individuen, assoziiert, was wiederum nichts anderes heißt als: Es funktioniert grundsätzlich, aber nicht bei jedem.
    Das aber ist erkennbar falsch: Die angeblichen menschlichen Schwächen sind Stärken, denn gerade sie werden honoriert mit dem Einzigen, das zählt, mit sehr viel Geld noch im Scheitern und mit Macht, die groß genug ist, ganze Staaten zu