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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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beschränkt und begrenzt wurde – und verwandeln uns in etwas, was ein Ökonom einmal ›Die Ökonomie des Geistes‹ genannt hat. In ihr gibt es keine Grenzen für die menschliche Imagination und Freiheit. Kreativität ist die wertvollste natürliche Ressource, die es gibt. Ihr Wert hat nichts mit dem Sand zu tun, aus dem sie gemacht worden ist, aber mit der mikroskopischen Architektur, die ihr von genialen Geistern eingeschrieben worden ist … Wir durchbrechen die materiellen Existenzbedingungen und betreten eine Welt, in der der Mensch sein eigenes Schicksal erschafft. Angesichts der neuesten Erkenntnisse der Wissenschaft kehren wir zurück zur uralten Weisheit des Buches Genesis: Im Anfang war der Geist, und es war dieser Geist, der die materielle Fülle schuf.« 197
    »Der Mensch, der sein eigenes Schicksal erschafft«, ist im Kontext der Informationsgesellschaft kein Mystizismus, sondern eine neue Definition von Arbeit. Wenn man, um alles zu bekommen, nichts mehr benötigt außer sich selbst, dann heißt das auch, dass der, der nichts bekommt, seine Seele überflüssig macht wie eine wegrationalisierte Arbeitskraft im Zeitalter Henry Fords.
    Arrogante europäische Intellektuelle haben damals allenfalls Witze darüber gerissen, dass Reagan in seiner Rede anbot, dem russischen Volk »in Sekundenschnelle« amerikanische Fernseh- und Radioshows per Satellit zur Verfügung zu stellen. Doch bei der Rede handelte es sich nicht um die Privatmythologie eines Hollywooddarstellers, sondern um das Drehbuch für eine neue Weltordnung, die auf gut klingende, aber ganz und gar unsenti mentale Weise den Unterschied zwischen Stoff und Geist wider rief und damit das Ego zum alles entscheidenden Marktplatz der Zukunft erklärte.
    Die Bruchstücke der Berliner Mauer, die sich wie Holzsplitter christlicher Reliquien über die ganze Erde verteilten und von Staatsmännern signiert wurden, waren nicht nur die Souvenirs des missglückten sozialistischen Menschenexperiments, sondern der Beginn eines neuen. Jedes Fragment bewies auf der makroskopischen Ebene der Geopolitik, was auf der mikroskopischen Ebene längst Gemeingut der Wissenschaft geworden war.
    Und selbst der von gewaltigen Streitkräften bewachte größte je von Menschenhand gebaute Betonwall der Welt konnte daran nichts ändern: Informationen brechen Mauern.
    Ohne die Informationstheorie der Computerwissenschaft, die 1948 von dem genialen Mathematiker Claude Shannon begründet wurde, wäre das Raketenabwehrsystem SDI nicht einmal als Hypothese vorstellbar gewesen. Nichts lag näher, als endlich auf der politischen Ebene den Begriff zu übernehmen, den Shannon und später Teile der Physik für das hielten, auf dem die Materie aufbaut: das Bit. Als immaterielles Teilchen hatte es den Vorteil, gerade jene mit der Physik zu versöhnen, die unter dem Materialismus litten.
    Natürlich waren die Politiker keine Teilchenphysiker und keine Informationstheoretiker. Alles, was sie taten, war, dass sie das militärische Potenzial der aus Kalifornien und Seattle soeben in die nun grenzenlosen Weltmärkte entschlüpften Technologie für die Märkte berechneten.
    »Information« ist nicht und sogar am wenigsten das, was die »Tagesschau« sendet. Beliebig vermehrbare Information kann alles sein und vor allem Geld, das sich mit einer solchen Geschwindigkeit in Bits verwandelte, dass schon um die Jahrtausendwende, wie Jeremy Rifkin schreibt, »weniger als zehn Prozent der amerikanischen Geldvorräte als greifbare Währung existierten«. 198
    Der »Webster« definiert »Grenzgebiet« als: »Eine vorgeschobene oder noch nicht vollständig erforschte Region.« Das ist eine fast perfekte Beschreibung des Ortes, an dem die Computerindustrie heute steht. »Die vollständige Ausdehnung dieses Gebiets ist fast grenzenlos.« 199
    Das sagte am 2. Mai 1961 Ronald Reagan. Fast zehn Jahre lang, von 1953 bis 1962, hatte er das »General Electric Theater« moderiert, eine Fernsehshow, die vom amerikanischen Elektronik-Giganten »General Electric« gesponsert wurde. Auf Einladung des Konzerns hielt er eine Werberede für ERMA , den ersten Supercomputer, der selbstständig Schecks lesen und verarbeiten konnte. Wenige Wochen zuvor hatten die Russen den ersten Menschen ins All geschickt, und wenige Monate später würde die Berliner Mauer gebaut werden.
    An jenem späteren Tag in Moskau muss für den amerikanischen Präsidenten der Triumph des Informationszeitalters wie Vorhersehung gewirkt haben.
    Die

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