Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition)
Frankreich und Deutschland diese Rolle zugefallen. Das ist kein Zufall. Beide sind die nach der Zahl ihrer Bevölkerung größten und wirtschaftlich leistungsfähigsten Mitgliedsländer. Wichtiger als das: Stärker und öfter als alle anderen haben sie sich im Verlauf der Geschichte gegenseitig zerfleischt – und daraus gemeinsam die Lehre gezogen, dass Friede und Wohlstand in Europa nur gesichert werden können, wenn sie der Versuchung widerstehen, dem anderen den Rang abzulaufen, anstatt mit ihm an einem Strang zu ziehen. Zumindest aus der Sicht der übrigen Mitgliedsländer begründet das freilich in keiner Weise eine sozusagen natürliche Berechtigung zur Führung. Jede dieser Nationen hat ihren eigenen Stolz, ihre eigene Geschichte, ihre eigenen von Frankreich oder Deutschland – oder beiden gemeinsam! – verschuldeten Narben. Behutsamkeit und Fingerspitzengefühl sind daher Eigenschaften, die mehr als alles andere gefragt sind, wenn ein Vorangehen beider Länder nicht auf Misstrauen, ja auch Ängste stoßen soll. Nicht nur die deutsche Bundeskanzlerin, sondern auch ihr jahrelanger treuer Weggenosse Nicolas Sarkozy haben das oft genug vermissen lassen, indem sie immer wieder den Eindruck erweckten, die übrigen Mitgliedsländer hätten nach der Pfeife zu tanzen, deren Töne sie unter vier Augen als allein selig machend erkannt hatten.
Dabei geht es insofern tatsächlich beileibe nicht nur um Deutschland und seine verheerende Rolle in der europäischen Zeitgeschichte, von den Folgen der Reichgründung durch Otto von Bismarck bis zu den beiden Weltkriegen. Frankreich hat gleichfalls keineswegs nur Freunde, die voller Bewunderung auf vergangene Erfahrungen zurückblicken. Das beschränkt sich nicht auf das intellektuelle Bildungsbürgertum in einer ganzen Reihe von Ländern, sondern beeinflusst – als mehr oder minder unbewusste geschichtliche Reminiszenz – die Einstellung von oftmals weiten Kreisen der Bevölkerung. In diesem Sinne erinnert man sich denn öfter als gedacht in Polen und anderswo schnell an die Zeiten zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als Kaiser Napoleon I. die Vorstellung von der »Grande Nation« als unantastbare Vormacht Europas in die Welt gesetzt – und danach gehandelt! – hatte.
Der Verdacht ist also schnell bei der Hand, man solle auch jetzt wieder bevormundet werden, wenn Frankreich oder Deutschland, einzeln für sich oder in gemeinsamer Abstimmung, auf weitere Schritte in Richtung auf eine unwiderrufliche Vereinigung Europas drängen.
Zu Zeiten des sogenannten Kalten Kriegs mag das noch anders gewesen sein. Damals wurde das Bild der Bundesrepublik Deutschland über lange Jahre hinweg durch einen Bundeskanzler wie Helmut Kohl verkörpert. Angesichts seiner Gewohnheit, sich gern in eine Strickweste zu kleiden, und seiner allgemein bekannten Neigung, kleinere politische Schwierigkeiten unter Einsatz von »Bimbes« (worunter er schlicht Kleingeld verstand) aus der Welt zu schaffen, wurde er zwar als politische Führungsfigur eines ungemein erfolgreichen Landes angesehen, aber doch von vielen als eine eher provinzielle Persönlichkeit belächelt. Das traf allerdings beileibe nicht zu, wie auch sein französischer Partner Jacques Chirac zumindest über einige Jahre hinweg deutlich mehr war als der mittelmäßige Symbolpolitiker und das internationale Leichtgewicht, als die er vielen Beobachtern erschien. Doch diese Zeiten sind längst vergessen – inzwischen ist das Bild von Deutschland und Frankreich in weiten Teilen der EU geprägt durch eine Bundeskanzlerin, die durch ihre als stur empfundene Sparpolitik so viel Unheil und Elend für unzählige Bürgerinnen und Bürger der anderen Mitgliedsländer ausgelöst hat, und einen (ehemaligen) Präsidenten, der sich, gepaart mit persönlicher Eitelkeit und Geltungsbedürfnis, immer mehr die traditionelle französische Eigenständigkeit aufgegeben und sich dem deutschen Diktat unterworfen hat.
»Deutschland gegen Europa (…) ist leider Realität« hat die Berliner Zeitung kürzlich einmal kommentiert. Jacques Delors hat wohl Ähnliches gemeint, als er von Angela Merkel sagte, dass »ihre Politik (eine) Rückkehr ins 19. Jahrhundert« bedeute – und sein Urteil über Nicolas Sarkozy dürfte höchstwahrscheinlich noch beträchtlich schärfer ausfallen.
Inzwischen wird auf französischer Seite die Partnerschaft durch den neuen Präsidenten Hollande verkörpert, der zwar bisher den Anschein zu erwecken versucht, dass er Vorstellungen vom
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