Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition)
Mahnung von Bernd Ulrich nachvollziehen. Um es noch einmal unmissverständlich klarzustellen: Ich gebe mich nicht der Illusion hin, irgendjemand könne von heute auf morgen eine von Grund auf andere Europäische Union sozusagen aus dem Hut zaubern. Durchsetzbar und deswegen realistisch bleibt allein die Weiterführung des »Monnet-Prinzips«: Unverändert muss darum gerungen werden, den nächsten Schritt durchzusetzen, der weiter auf das angestrebte Ziel hinführt.
Dieses Ziel aber – und damit haben die Streitschriften vorbehaltlos Recht – muss in der Tat endlich für jedermann klar erkennbar und unmissverständlich benannt werden. Das hat auch Giscard d’Estaing im vergangenen November mit einer bemerkenswerten Rede anlässlich einer von der Süddeutschen Zeitung in Berlin veranstalteten Tagung angemahnt – und dabei deutlich gemacht, dass die Vision für ein künftiges Europa eben weit über jene »Föderation von Nationalstaaten« hinausgehen muss, die José Manuel Barroso unlängst wieder ins Spiel gebracht hat.
Aus jahrelanger beruflicher Erfahrung weiß ich durchaus, dass hektische Betriebsamkeit und unbedachte Handlungen weder im täglichen Leben noch bei der Bewältigung kritischer Situationen hilfreich sind. Unter Berufung auf die erwähnten Lehren von Karl Popper über die Vorzüge eines »piece-meal engineering« hat unlängst Markus Reiter in einem klugen Beitrag der Stuttgarter Zeitung daran erinnert, dass derjenige, der »mit großen Visionen auf eine vermeintliche Zukunft zustürmt«, dazu neige, »die Opfer dieser Politik in der Gegenwart zu übersehen. Wenn große Visionen scheitern, dann scheitern sie groß«. Und er schließt daraus, es sei »am Ende klüger, sich von Krisengipfel zu Krisengipfel (…) durchzuhangeln, (…) im Zweifel einen Rückzieher zu machen und Neues zu probieren. Das sieht nicht elegant aus, bringt uns aber am sichersten weiter.«
Anders sieht es freilich aus, wenn akute Gefahr droht. Die Gießkanne ist, wie ich fürchte, nicht geeignet, einen Flächenbrand zu verhindern. Zumindest müssen dann wirksamere Mittel bereitstehen, um irreparable Verluste zu verhindern. Genau aber hier liegt die Schwäche derjenigen Ratgeber, mögen sie noch so klug und erfahren sein, die meinen, die europäische Vereinigung vertrage es, weiterhin nach der bisherigen Methode vorangetrieben zu werden, ohne die Bevölkerung der Mitgliedsstaaten unnötig zu verunsichern.
Für mich hat das die Schuldenkrise der europäischen Staaten und die damit verbundene »Eurokrise« unwiderleglich deutlich gemacht. »The futility of treating the euro crisis as a series of separate national emergencies (…) «: So lautet die nüchterne Feststellung des Economist , mit der das Magazin den langen Kampf um die Stabilisierung der gemeinsamen Währung auf den Punkt gebracht hat, die Sinnlosigkeit aller Versuche, die Währungskrise als Abfolge getrennter nationaler Notsituationen zu verstehen und zu behandeln. Auch wenn das Bohren dicker Bretter, wie gesagt, noch lange auf der Tagesordnung bleiben wird, muss es ohne die Vision einer wirklichen politischen Vereinigung der Europäer im Chaos enden. Schon werden allenthalben Stimmen laut, die das nahende Ende der Europäischen Union herbeibeschwören. Sie werden nur dann verstummen, wenn ihnen endlich klar und deutlich entgegengehalten wird, dass wir ohne die Verwirklichung der europäischen Vision eine epochale Chance verspielen würden: die Chance, die globale Entwicklung auf der Grundlage der europäischen Wertvorstellungen, mitzubestimmen, ja entscheidend mitzuprägen.
Kein Zweifel: Der Vertrag von Lissabon – so komplex und allenfalls noch für Experten verständlich er auch geraten sein mag – hat inzwischen manche wichtige Fortschritte bewirkt. Jeder, der das Geschehen wenigstens einigermaßen aufmerksam verfolgt, kann inzwischen feststellen, dass das Zusammenwirken zwischen dem Europäischen Parlament und der Brüsseler Kommission bemerkenswerte Beschlüsse zur Sicherung eines freien Wettbewerbs, zur Verbesserung des Umweltschutzes oder der Gesundheitsvorsorge bewirkt hat. Doch umgekehrt gibt es auch täglich neue Beweise dafür, dass die Mitgliedsstaaten ängstlich bemüht bleiben, ihren (vermeintlichen) nationalen Interessen Vorrang vor einer wirklichen – wie Menasse es nennt – »demokratischen Revolutionierung Europas« einzuräumen. Das nachgerade widerliche Tauziehen um den nächsten Haushalt der EU, mit dem uns die Staats- und Regierungschefs
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