Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman
einen wunderbaren Blick über Irmis Garten. Wie jeden Tag schwang sie sich für eine schweißtreibende Stunde hinauf und tastete das Gelände mit Argusaugen ab. Wie zur Hölle sollte sie erkennen, welcher von den kahlen Sträuchern und Bäumen ein Goldregen war? Allerdings gab es nur eine einzige Bank, ziemlich am Ende des Gartens. Ein paar Schritte über Bauer Bosbachs Kuhweide, und man konnte hinter einer bauchigen Zuckerhutfichte in Deckung gehen. Im Dunkeln würde einen niemand bemerken.
Amelie kämpfte mit sich. Seit Benedikt sie im Schwanenhof einfach hatte sitzen lassen, stand sie einem Abenteuer mit ihm nicht mehr ganz so positiv gegenüber. Zwar hatte sie seine vielfach vorgetragene Entschuldigung, zu einem Notfall gerufen worden zu sein, wo er dann einer sterbenden Frau aus seiner früheren Gemeinde die ganze Nacht die Hand hatte halten müssen, gerührt, aber sie hatte nicht vergessen, wie demütigend es gewesen war, allein vor ihrem Drei-Gänge-Menü sitzen zu müssen und von den anderen Gästen angestarrt zu werden. Zum ersten Mal war ihr der Gedanke gekommen, dass sie sich lächerlich machte.
Es war merkwürdig, mitten in der Nacht auf dem Friedhof zu stehen. Das große Eisenportal war abgeschlossengewesen, aber Amelie war durch eine kleine Nebenpforte eingetreten, die ganz stilecht gequietscht hatte. Wie in einem Gruselfilm waberten feuchte Nebel über die Gräber, auf denen hier und da kleine rot schimmernde Lampen flackerten.
Auch auf Roberts Grab brannte ein Licht. Amelie vermutete, dass Louisa es angezündet hatte. Sie hatte sich auch um den Grabstein gekümmert, der nun statt des provisorischen Holzkreuzes dort stand. Das schwache Licht reichte gerade aus, um die Inschrift lesbar zu machen. Nur Roberts Name, darunter seine Geburts- und Sterbedaten. Es tat weh, das zu lesen, es war so schrecklich endgültig. Amelie las es trotzdem immer und immer wieder.
»Du Mistkerl«, sagte sie schließlich laut. Der schwarze Abgrund unter ihr hatte sich ausgedehnt bis ins Unendliche. Das Ungeheuer reckte hungrig seinen Kopf nach oben.
»Um dich kümmere ich mich später«, sagte Amelie zu dem Ungeheuer und hielt ihren Blick fest auf Roberts in Fels gemeißelten Namen gerichtet.
»Ich weiß, dass das nicht der Ort ist, an dem du dich wirklich aufhältst«, sagte sie. »Aber ich wollte hier mit dir reden, weil du hier am weitesten von mir weg bist.«
Sie schluchzte kurz auf, gestattete ihren Tränen aber nicht zu fließen. »Du hast mich allein gelassen. Siehst du wenigstens, was du damit angerichtet hast?«
Der Wind fuhr in eine riesige Tanne und ließ einen kleinen Sprühregen auf Amelie niedertropfen.
»Ich bin schon nass bis auf die Knochen«, sagte Amelie ungerührt. »Bis eben bin ich im Gebüsch unserer Nachbarn herumgekrochen. Und weißt du, was ich gesehenhabe? Na ja, gesehen habe ich nichts, wenn ich ehrlich bin. Daher auch diese Schramme.« Sie fuhr sich mit dem Zeigefinger über einen kleinen Kratzer auf der Stirn. »Aber gehört habe ich genug. Stell dir vor, Robert, die brave, aufopferungsvolle Irmela Quirrenberg hat ein Verhältnis mit dem neuen Pfarrer. Er nennt sie seinen Diamanten, seine Porzellanrose, seinen zitternden Hasen.«
Wütend zog sie die Nase hoch. »Das sind exakt die gleichen Kosenamen, die er für mich hat. Man kann nicht sagen, dass er besonders viel Fantasie hat, oder?«
Wieder rüttelte ein Windstoß die Tanne. Die Nacht war schwärzer als Tinte.
»Ich habe es mir nicht zu Ende angehört. Ich bin gegangen, als er Irmis Mantel aufknöpfte und nach ihren Rehböckchen tastete. Ja, du hast richtig gehört. Er sagte Rehböckchen ! Vielleicht freut es dich zu hören, dass er meine Rehböckchen noch nicht zu fassen gekriegt hat. Aber viel hat nicht mehr gefehlt, das muss ich der Ehrlichkeit halber zugeben.« Sie machte eine Pause. »Er ist mindestens zehn Jahre jünger als ich, und er sieht blendend aus. Er hat von Anfang an mit mir geflirtet. Jetzt weiß ich, dass er nicht nur mit mir geflirtet hat. Ich glaube, das ist einfach seine Natur.«
Die Flamme in der Laterne vor ihr flackerte.
»Natürlich habe ich zurückgeflirtet«, sagte Amelie. Aber daraus kann man mir keinen Vorwurf machen. Ich hatte die Wahl, mich ihm an den Hals zu schmeißen oder wahnsinnig zu werden.
Es war so kalt, dass sich beim Sprechen weiße Wölkchen vor ihrem Gesicht bildeten, aber Amelie schwitzte. Sie öffnete den Reißverschluss ihres Anoraks und atmetetief durch. »Es ist alles deine
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