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Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman

Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman

Titel: Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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Ehe sie es verhindern konnte, hatte Georg eine Ecke abgerissen.
    »Georg, hör auf damit.«
    Georg riss die andere Ecke ab.
    »Keine Angst, es fehlen höchstens ein paar Buchstaben«, sagte er. »Schlimm wird es erst, wenn man was aus der Mitte rausreißt.« Mit einem Ruck halbierte er den Brief und riss einen schmalen Streifen ab. »Siehst du? Jetzt ist es schon schwieriger. Wenn ich so weitermache, wird es ein richtiges Puzzle.«
    »Warum machst du das?«, fragte Irmi entsetzt.
    Georg setzte mit seinem Rollstuhl ein paar Meter zurück. »Hm, eine gute Frage. Lass mal überlegen. Weil ich von Natur aus gemein bin? Oder weil mich eine heimtückische Krankheit zu einem gemeinen Kerl gemacht hat? Soll ich ihn aufessen? Schmeckt bestimmt besser als das Müsli, das du mir heute morgen aufgetischt hast.«
    »Lass das!« Irmi hob eine der abgerissenen Ecken vom Fußboden auf.
    »Traust dich ja doch nicht, das Ding zu essen«, sagte Christoph zu seinem Vater.
    Georg schob sich einen Streifen in den Mund und begann zu kauen.
    »Traue ich mich nicht, was?«, sagte er triumphierend.
    Christoph lachte. »Du bist ja total verrückt.«
    »Verrückt wäre ich, wenn ich den ganzen Brief essen würde«, sagte Georg und stopfte sich einen weiteren Streifen in den Mund.
    Irmi war den Tränen nahe.
    »Warum tust du das?«, fragte sie wieder. »Und du stachelst ihn auch noch an, Christoph!«
    »Lass dich doch von dem nicht ärgern, Mama«, meinte Christoph immer noch lachend und reichte ihr einenBrief vom Stapel. »Hier, du kannst ja im Gegenzug Papas Telefonrechnung aufessen!«
    Irmi sah einen weiteren Streifen ihres Briefes in Georgs Mund verschwinden und sagte: »Es reicht, wenn wir hier einen Verrückten im Haus haben.«
    »Ach, komm schon! Gib dir einen Ruck, Irmi«, munterte Georg sie mit vollem Mund auf. »Briefeessen macht Spaß. Erinnert mich an deine Lasagne – die ist ähnlich geschmacklos!«

    »Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal Blumen bekommen habe!« Irmi strahlte vor Freude, als sie den großen Strauß Sonnenblumen und Myrtenastern entgegennahm.
    »Es sind keine Gerbera und keine Nelken drin«, sagte Martin stolz. »Dafür, dass du mir deinen Bruder empfohlen hast. Vielen Dank, liebe Irmi. Du bist eine echte Freundin. Ich habe deinen Bruder gleich auch meinen Kollegen weiterempfohlen.«
    »Hoffentlich erreicht er auch was«, sagte Irmi, während sie die Blumen ins Wasser stellte. »Wenigstens eine fette Abfindung. Oder vielleicht sogar eine Wiedereinstellung.«
    »Mir reicht die Abfindung«, sagte Martin. »Am liebsten würde ich mich mit dem Geld auf- und davonmachen. Irgendwohin ziehen, wo’s warm ist.«
    »Ja, das wäre schön«, stimmte Irmi zu. »Die Zitronen direkt vom Baum pflücken …«
    »Ja«, seufzte Martin. »Ich bringe mich um, wenn selbst dein Bruder mir nicht mehr helfen kann. Dann hab ich’sauch immer schön warm in meinem gemütlichen Sarg und dem kuscheligen Totenhemd.«
    »Darüber macht man keine Scherze«, sagte Irmi, die es sich im Sarg weniger gemütlich als klamm, dunkel und sehr einsam vorstellte.
    »Das war kein Scherz, Irmi«, sagte Martin. »Was soll ich noch mit diesem Leben anfangen, wenn ich nicht mal mehr meine Würde behalten darf? Keine Arbeit mehr, kein Geld, keine Nachkommen … Mein Leben ist nur noch ein Scherbenhaufen.«
    »Carola wäre sicher traurig, wenn sie dich so sprechen hörte«, sagte Irmi tadelnd.
    Martin lachte laut auf. »Irmi! Du bist wirklich hoffnungslos gutgläubig. Ich würde Carola einen Gefallen tun, wenn ich mich umbrächte.«
    »Das glaube ich nicht«, sagte Irmi.
    »Ich weiß es.« Martin seufzte. »Keine Angst, es wird nicht wehtun. Es ist ganz einfach. Ich setze mich in meine alte Schrottkiste von Auto und leite einen Gartenschlauch vom Auspuff durchs Fahrerfenster.«
    »Und das funktioniert?«
    »Tadellos«, beteuerte Martin. »Man muss nur alle Ritzen mit Isolierband dicht machen. Und sich ein bisschen betrinken, dann ist es auch nicht so unangenehm, wenn das Kohlenmonoxid einem den Atem zu nehmen beginnt.«
    »Du sollst über solche Dinge nicht mal nachdenken«, sagte Irmi streng. »Das ist Sünde, weißt du das nicht?«
    »Das sagt die Richtige«, sagte Martin und lächelte.
    Irmi errötete.
    Georg kam in die Küche gerollt. Er hatte sich vor dem Fernseher ein Poloturnier angeschaut. Polo sei wie Rollstuhlbasketball für Reiche, sagte er immer.
    »Sind die Blumen für mich?«, fragte er.
    »Nein, für mich«, sagte Irmi. »Von Martin, also

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