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Ehemänner

Ehemänner

Titel: Ehemänner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angeles Mastretta
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schon, denn auf einmal drängten sie darauf, alles, was sie zwei Jahre, zehn Monate und neun Tage lang für sich behalten hatten, zu erzählen, das Wie und Wann, das Wo und Warum: Der Junge war der Sohn einer Frau, die eines Tages allein wie ein scheues Flämmchen im Dorf aufgetaucht war und die mit denjenigen, die sie verstanden, auf Totonakisch redete, denn sie wusste sich kaum in einer anderen Sprache auszudrücken. Aus dem gleichen Grund lebte sie fast in völliger Stille und flocht Hüte aus Palmstroh wie so viele Bäuerinnen der Gegend.
    Paz hörte sich geduldig alles an, ohne selbst viel zu sagen.
    Sie erkundigte sich lediglich nach dem Haus, wenn man die vier Wände aus Schilfrohr und Schutt als solches bezeichnen konnte, wo sie schließlich einen kleinen Jungen vorfand, ein grausames Häuflein aus Rotz, Dreck, Läusen und Tränen. Die Nachbarn hatten ihn an ein Bein des Bettes festgebunden, damit er nicht verloren ging, während sie eine Bleibe für ihn suchten. Erschüttert von diesem Anblick, näherte sich Paz ganz sachte dem armen Kerlchen, redete leise auf ihn ein und steckte ihm ein Fläschchen mit einem wie eine Brustwarze spitz zulaufenden Kautschukdeckel in den Mund. Solche Gummisauger, wie man sie heute nennt, werden inzwischen allenthalben verkauft, doch damals hatte man dergleichen noch nie gesehen; nur Paz besaß einen, denn er hatte ihren Kindern gehört. Der Kleine ließ sich den Sauger in den Mund stecken und trank ein wenig von dem süßen Wasser. Paz legte ihm eine Hand auf den Kopf und streichelte ihn behutsam. »Kommst du mit mir?«, fragte sie, ohne auf Antwort zu warten. Das Kind machte große Augen und ließ sich auf den Arm nehmen. Paz verließ das Haus noch im violetten Dämmerlicht jenes Landstrichs. Die Männer vom Fährboot hatte sie gebeten, für sie eine Fahrt einzuschieben, und dafür zahlte sie ihnen zwei Tage Lohn. Als das lange, flache Boot sich auf den Rückweg begab, lehnte Paz an dem einzigen Geländer und presste den Kleinen fest an sich wie einen Schatz.
    Es war schon Mittag, als sie ihr Haus auf der Hazienda betrat. Ihr jüngster Sohn war ein Jahr alt und schlief mit einem Engel, der seinen Kopf umflatterte. Der Größere spielte im Hof unter den Blicken einer Frau, die kaum mehr als fünfzig Jahre zählte und an der Schwelle zu dem stand, was man damals alt nannte. Sie trug einen langen Rock, eine blaue Schürze, ein schwarzes Schultertuch und zeigte ein weißes Lächeln, mit dem sie Paz in dem Gefühl bestärkte, sie habe wohlgetan. Die Frau hatte schon Wasser aufgesetzt, und zu zweit zogen sie den Kleinen aus und steckten ihn in eine Zinnwanne. Zu Anfang weinte der Arme beim ersten Schreck seines neuen Lebens, doch, wie es meistens so ist, sollte er später weinen, als sie ihn aus dem Wasser zogen, an dem er Gefallen gefunden hatte. Sein älterer Bruder kam ins Bad, um mit dem Neuankömmling vom Rand der Wanne aus zu spielen, von wo aus er nichts verpasste. Sie seiften den Kleinen einmal von oben bis unten ein und wechselten das Wasser, das schwarz in den Abfluss rann. Dann ließen sie ihn einweichen, derweil sie ihm die Ohren schrubbten, die Haare wuschen und mit einem Beinkamm die Nissen auskämmten. Selbst die Zähne kratzten sie ihm sauber, und nach all dem tauchte er blitzblank und strahlend aus dem Wasser wie neugeboren. Er hatte dunkle Haut und volle Lippen, die nicht aufeinanderpassten, wenn er sie schloss. Die Oberlippe war geschürzt, was seinem Gesichtchen den Ausdruck eines steten Lachens verlieh. Als mangele es ihm sonst an Schalk, hatte er zwei Funken in den Augen.
    Der Bruder, der ihn in seinen Kleidern vom letzten Jahr sah, fragte nicht lange nach, woher dieser noch kleinere Junge kam, den seine Mutter mit heimgebracht hatte und der gescheit war wie er und reichlich mitteilsam. Das Spanisch des Jungen war holprig, aber er sprach schnell und verlangte so nach Milch. Er bekam sie zum Essen, das er an der Seite seines Bruders hinunterschlang. Danach stellte Paz ihnen eine Lok und Eisenbahnwaggons aus Holz am Boden auf, und sie setzten sich davor und hängten einen Waggon an den anderen.
    Das war der Stand der Dinge, als der Pfiff das Haus durchdrang, mit dem Felipe heimkam, wenn die Abrechnungen, die er in seinen Büroräumen machte, so erfolgreich gelaufen waren wie zu erwarten. Er lief die Treppe hoch und betrat die Wohnung, um nach seiner Familie zu sehen. Paz saß da in einem Korbschaukelstuhl, der hin- und herwippte, bewegt vom Spiel ihrer Füße.

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