Ehemänner
Gedanken nach, die sie sich nur ungern eingestand, obwohl sie sich immer öfter wiederholten, als Saldívars Stimme von hinten ganz nah an ihre Ohren drang.
»Bist du immer noch auf dem Mond?«, fragte er sie, als hätten sie miteinander geschlafen.
»Wo siehst du mich denn?«, fragte Amanda.
»Überall.«
»Lügner, wie zu deinen besten Zeiten«, sagte sie. »Wie geht es dir?«
»Du fehlst mir.«
»Genau wie zu deinen besten Zeiten.«
Sie nahmen nebeneinander Platz, als wären sie zusammen gekommen. Der Ort war ein weitläufiger Wartesaal für zehn Praxen. Es war rappelvoll.
»Wann bist du zurückgekehrt?«, fragte Amanda ihn mit einem Blick, als wäre ihr der Horizont nicht weit genug.
»Gestern.«
»Bist du krank?«
»Ich muss zum Kardiologen.«
»Dein Herz hatte schon immer eine Untersuchung nötig gehabt.«
»Ja«, sagte er.
»Tut es weh?«
»Ja, Herzeleid«, sagte Saldívar.
»Ich bin zu alt für solche Scherze.«
»Herzeleid kenne ich so gut, wie ich deinen Körper kannte.«
»Lass meinen Körper aus dem Spiel. Der fehlt mir noch mehr als du.«
»Ich fehle dir?«
»In letzter Zeit schon weniger, seit du in meinen Träumen erscheinst. Und ich finde, du hast dich nicht verändert.«
»Lügnerin.«
»Älter, aber unverändert. Und am Leben.«
»Das wusstest du doch.«
»Wenn du stirbst, werde ich eine Leere spüren. Außerdem ist es noch lange hin bis zu deinem zweihundertsten.«
»Lass mich hier leben«, bat Saldívar.
»Meinetwegen, als wärst du nie fortgegangen«, sagte Amanda.
»Ich vermisse deine Geschichten.«
»Die erzähle ich immer noch allen, die sie hören möchten. Du bist ja weggegangen.«
»Du hast mich ziehen lassen.«
»Die gleiche Diskussion hatten wir schon am Samstag«, sagte Amanda.
»Ich war nicht da.«
»Du bist immer da«, sagte Amanda und berührte seine Hand. Ihre Finger strichen über die geschwollenen, harten Venen, die verdickten Knöchel, die warme Handfläche, den von Altersflecken übersäten Handrücken.
»Seit sechs Monaten versuche ich, dir zufällig zu begegnen. Lass mich bei dir leben«, bat er.
»Uns bleiben nicht mal mehr Jahre.«
»Dich in meiner Nähe haben.«
»In deiner letzten Stunde? Mit dieser Bitte hättest du mich früher umgebracht. Du willst deine letzte Stunde mit mir verbringen? Geh zum Teufel«, sagte sie in einem Ton, den sie lange Zeit nicht mehr in ihrem Repertoire gehabt hatte. Mit den Jahren waren ihr die Schimpfworte abhanden gekommen, und es machte ihr Spaß, sie wiederzuentdecken.
»Denk drüber nach«, sagte Saldívar, als hätte er sie nicht gehört.
»Bitte stirb nicht«, sagte Amanda, als sie sich erhob. Dann entfernte sie sich, ganz darauf konzentriert, den Rücken gerade zu halten.
Als der Arzt sie eintreten sah, hatte er das Gefühl, sie singen zu hören. Um so elegant zu schreiten, musste man schon ihre Stimme haben. Er war erstaunt über die Wachheit ihrer Augen, die den Sonnenaufgang zu spiegeln schienen. Er erkundigte sich nach ihrem Befinden und schickte sie dann zur Sicherheit zum EKG.
Auch ihr Herz musste kontrolliert werden, dachte Amanda auf dem Weg in die Kabine, wo sie einen Kittel und Strümpfe anziehen sollte. Die Krankenschwester, die sie begleitete, fragte, ob sie ihr helfen solle. Amanda, die einen ihrer neuen Schuhe in der Hand hielt, bejahte.
»Im Wartesaal sitzt ein gewisser Señor Saldívar. Könnten Sie ihm den bitte bringen?«, bat sie.
Die junge Frau sah den eleganten kleinen Schuh.
»Auch den anderen, oder?«, sagte sie, während sie den Schuh vom Boden aufhob, den Amanda dort hatte liegen lassen.
»Nein«, sagte Amanda. »Den anderen brauche ich noch für den Heimweg.«
Da das Alter einen nicht gerade vernünftiger erscheinen lässt, hielt die Krankenschwester es für ratsam, ihrem Wunsch nachzukommen. Sie ging hinaus, um Saldívar zu suchen und ihm den Schuh auszuhändigen. Der nahm ihn widerspruchslos in Empfang. Er hatte den Platz, wo Amanda sich von ihm verabschiedet hatte, nicht verlassen, denn es gab keinen anderen Termin als den mit ihr. Sein Herz machte keine Probleme mehr.
Zwei Tage später verkündete der Betreuer, als er die Wohnung betrat, sie bekomme neue Nachbarn in der Etage unter ihr.
»Sie haben einen Hund«, sagte er.
»Auch ein Klavier?«, fragte Amanda noch schlaftrunken. »Heutzutage hat keiner mehr ein Klavier.«
»Wer weiß. Gesehen habe ich nur den Señor. Er kam gerade die Treppe hoch.«
»Neun Stockwerke zu Fuß?«
»Und sie haben ein Geschenk
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