Ehen in Philippsburg
machen konnten, von Anfang an hatte sie gesagt, daß sie es nicht wissen wolle, wenn er sie je einmal betrüge, aber dann hatte sie doch manchmal gefragt, dann hatte sie doch dies und jenes wissen wollen, obwohl sie immer noch behauptete, unangenehme Tatsachen wolle sie sich fernhalten, sie kenne die Menschen, die Männer, sie wisse, daß es wahrscheinlich ganz ohne Betrug nicht gehe, bitte, das sei seine Sache, davor möge er sie bewahren: er hatte geschwiegen, auch wenn sie einmal ihr Prinzip verraten hatte und neugierig, eifersüchtig und einfach für Stunden eine richtige Frau geworden war. Lauter als es seine Art war, betrat jetzt Dr. ten Bergen die Hausbar.
Den Grund seiner Aufregung zog er hinter sich her: Alice Dumont. Er hielt sie am Handgelenk, zog und schob sie herein und ruhte nicht eher, bis alle Gespräche abgebrochen und alle Gesichter zu ihm und Alice Dumont hingedreht wurde. Alice habe eine »exceptionelle story« erlebt, eine »story«, die Büsgen sofort mitschreiben könne (was dieser mit einem Achselzucken ablehnte). »Erzählen, erzählen«, riefen Frau Volkmann und Frau Frantzke; und Alice, die wahrscheinlich keinen Augenblick daran gedacht hatte, ihre story nicht zu erzählen, setzte sich mit Hilfe ten Bergens (der sich dabei tolpatschig anstellte, denn eigentlich hatten seine langen Hände Angst) auf die Bar, stellte ihre Beine auf einem Hocker zur Schau und begann: Eine Schlagersängerin müsse heute filmen, sonst sei es aus mit ihr! Also habe auch sie sich breitschlagen lassen, habe eingewilligt, daß Probeaufnahmen von ihr gemacht würden. Probeaufnahmen, wer das nicht mitgemacht habe, könne gar nicht ermessen, was das heiße, Probeaufnahmen! Kopf links, Kopf rechts, Licht von da und Licht von dort und immer eine Höllenbatterie von Scheinwerfern mitten ins Gesicht, und zwei Maskenbildner stürzen auf einen zu, tupfen und tuschen an einem herum, eine Stimme jenseits der Lichthölle schreit dazwischen; die Maskenbildner nehmen weg, verstärken, neue Befehle, neue Kämme werden ins Haar geschoben, man läßt alles geschehen, lächelt, wenn es befohlen wird, weint, wenn es befohlen wird, nimmt die Schultern zurück und stellte fest, daß man seinen Körper nicht mehr spürt, leblos hängt man in den Scheinwerferbahnen, wird zersägt, zersiebt, wird weiß Gott was! Dann der Befehl: Zum Friseur! Es ist schon Abend, der Friseur ist telephonisch verständigt und wartet schon: die Haare müssen herunter, und der Rest wird gefärbt, tizian. Und Dauerwellen. Mit zerrädertem Kopf wieder ins Auto. Zum Zahnarzt . Man fragt, warum? Der Regisseur sei begeistert. Morgen könne man drehen. Nur noch die Zähne. Der Zahnarzt scheint geweckt worden zu sein. Ist aber freundlich. Ganz klar, sagt er: fünf Jacketkronen. Eine Spritze und noch eine und noch eine, dann zählt man nicht mehr: die Zähne müssen abgeschliffen werden, fünf gesunde Zähne! Wenn man nach einer Ewigkeit glaubt, jetzt sei es soweit, erfährt man, daß erst der erste Zahn und der nur zu einem Viertel abgeschliffen sei. Das Mühlrad fährt wieder auf den Mund zu, man schließt die Augen, das Dröhnen füllt schon die Mundhöhle und den ganzen Kopf, die Nackenmuskulatur beginnt zu krampfen, aus dem aufgeklappten Mund stäubt weißgelber Rauch, stinkt nach verbranntem Hörn, der ganze Körper siedet einen einzigen Schmerz, der Aufnahmeleiter und die Assistentin des Zahnarztes greifen zu, jetzt kann man sich nicht mehr bewegen, liegt unter der glühenden Tausendtonnenlast des Schmerzes und gurgelt Schreie, die man nicht ausspucken kann, ewigkeitenlang im Hals herum oder im Weltall herum, denn wo fängt man an, wo hört man auf, alles ist Schmerz. Um drei Uhr in der Früh’ ist es soweit. Im Auto findet man sich wieder. Und dann im Bett. Um zehn Uhr Drehbeginn. Um neun Uhr wird das Drehbuch ausgehändigt. Der Regisseur sagt: Der Film wird ein großer Erfolg.
»Übrigens«, sagte Alice und entblößte ihre neuen Zähne, »sie gefallen mir gut, bloß sprechen konnte ich nicht recht die ersten Tage, weil die Zunge nie am rechten Platz war, aber jetzt geht es ausgezeichnet.« Alwin hatte sie noch gar nicht beobachtet an diesem Abend. Jetzt staunte er. Ein weiß gleißender Beinvorhang hing ihr von den Lippen, sie bleckte bei der geringsten Lippenbewegung und wirkte deshalb herausfordernd, kühn, ein Wolfsweib, eine hüftenstarke Amazone, deren Zähne durch bloßes Zerkauen von Nahrung einfach nicht ausgelastet sein konnten. Man hatte das
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