Ehen in Philippsburg
Gefühl, als müsse sie mit diesen Zähnen irgend etwas Schönes, etwas Wildes vollbringen, etwas, von dem ihr bleckendes Lächeln erst ein kleiner vorausgeworfener Schimmer war. Noch größer wirkten diese Zähne, weil man ihr das kurzgeschnittene Haar ganz eng an den Kopf gelegt hatte. Etwas Wichtigeres und Größeres als die Zähne gab es nicht mehr in diesem Gesicht, sie waren jetzt so wichtig wie Alices Busen, und der war bisher das Wichtigste gewesen. Alice erzählte jetzt von ihrer Nase, die Gott sei Dank durch die letzte Operation eine wahrscheinlich endgültige Form erhalten habe. Und seit sie filme, habe sie auch wieder abgenommen, Schrotkuren wie noch nie, aber ihr komme das sehr zustatten, sie nehme immer nur am Bauch ab und am Po und an den Hüften, der Busen bleibe gewaltig wie eh und je, das sei ihr Reservoir, das ihr für alle Zeiten eine gute Figur sichere, denn den übrigen Körper könne sie durch Kuren immer so schlank halten, daß ihr Busen enorm herauskomme… Alwin war erstaunt, wie freimütig Alice ihren Körper zur Diskussion stellte. Aber allmählich bemerkte er, daß in ihrer Rede nichts von Freimut war. Ihre Augen gleißten, ihre Hände fuhren hastig und mit durcheinandergeworfenen Fingern durch die Luft, sie hatte wahrscheinlich gerade ihr Gift genommen und war deshalb so hektisch und ohne jede Hemmung; ihre Stimme gellte, auch wenn sie leise sprach. Die Gäste rundum lächelten und flüsterten sich Bemerkungen zu.
Wahrscheinlich hätte man Alice Dumont auf dem Bartisch sitzen lassen, bis sie – wenn das Gift seine Wirkung verloren haben würde – in sich zusammengefallen wäre, stammelnd, den Mund voller Zischlaute und mit entgleitenden Augen: aber ein Rudel Gäste drängte plötzlich in die Bar und störte Alices Rede und rettete sie. Es waren jüngere Leute, Freunde Anne Volkmanns. Sie atmeten, als hätten sie eine große Anstrengung hinter sich, ihre Gesichter waren gerötet, in den vom Wind zerzausten Frisuren hingen gerade vergehende Schneeflocken, die als Tropfen noch eine Zeitlang glänzten. Sie baten um Asyl. Die Party müsse verlängert werden. Ob Anne und Hans nicht gleich eine Hochzeitsparty anschließen könnten, heimfahren sei unmöglich; bis sie zu ihren Autos kämen und eingestiegen wären, hätten sie keinen trockenen Faden mehr am Leib, sie würden ihre Garderoben ruinieren und sich selbst den Tod holen. Anne und Hans lächelten, Frau Volkmann sagte, sie sei dem Wetter zu großem Dank verpflichtet, da sonst die Gäste immer so unvermittelt aufbrächen und die Gastgeber allein und trostlos in den verrauchten Salons zurückließen. »Fabelhaft«, sagte Frau Frantzke, »das gibt eine richtige Katastrophe, wir übernachten hier alle miteinander.«
Diese Vorstellung belebte die Gemüter wie ein Gift, sie witterten eine Sensation, eine ungeheure Abwechslung, diese Party, eine der letzten in dieser Saison, würde man nicht so schnell vergessen, sie gratulierten Anne, als habe die den originellen Einfall gehabt und das Wetter bestellt, das sie zwang, hier zu bleiben. Man würde trinken, mehr als sonst, was für Freiheiten würden noch anbrechen in dieser Nacht! Frau Frantzke rief: »Wir müssen spielen.« Ja, aber was? »Dr. Alwin soll sein Roulette holen.« Diese Idee zündete. Sofort hing eine Traube knisternder Damen an Alwin, er wurde gestreichelt, spürte Hände, Schultern und Hüften, fünferlei Parfüm schlug ihm ins Gesicht, eine Heldentat wurde von ihm verlangt: bei diesem Wetter zu seinem Auto zu rennen, heimzufahren und sein Roulette zu holen; er, der einzige, der eines besaß, er allein konnte die Gesellschaft retten, denn was sollte man mit sich anfangen, bis man müde genug war, in den Sesseln und auf dem Teppich hinzudämmern, solange das Unwetter währte! Ilse flüsterte ihm zu, er solle sofort fahren. Auf ihr Betreiben hatte er sich das Roulette angeschafft, vor drei Jahren, als sie durch ihre gesellschaftliche Stellung und ihre Ambitionen allmählich gezwungen worden waren, auch Einladungen zu geben und dann und wann eine Party zu veranstalten. Ilse hatte gesagt: wenn wir jedesmal die Bank halten, kosten uns die Veranstaltungen so gut wie nichts, das spielen wir leicht herein. Alwin hatte darauf bestanden, daß mitunter auch ein Gast die Bank halten sollte, um nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, man wolle den Gästen das Geld abspielen. So hatten sie’s denn auch gehalten. Aber meist verloren die Gäste, auch wenn sie die Bank hielten, weil sie sie
Weitere Kostenlose Bücher