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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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wenn er seine Mitspieler nur einmal vorurteilslos angesehen hätte, bemerkt haben müßte, daß die Mehrzahl der Spieler keine leidenschaftlichen Barone mehr waren, daß auch weder ein Dostojewskij, noch ein Kortikoff, noch ein Garcia darunter war, überhaupt wenig selbstvergessene Leidenschaft, sondern kleinbürgerliche Spekulation auf leichtverdientes Geld. Aber er bewunderte die Mienen der wenigen Gewinner am Roulettetisch, jene Herren, die dem Croupier ihren Einsatz ganz ruhig hinreichen und die Jetons mit straffer Stimme und ohne jedes Zögern auf zwei, drei Nummern dirigieren, als seien sie ihrer Sache ganz sicher, als hätten sie ein Geheimnis im Kopf, das sie von jedem Risiko befreite. Sie überziehen das Feld mit einem magischen Netz, steuern Zahlen an, die Kugel folgt ihrem Willen, und sie kassieren den Gewinn mit fast teilnahmsloser Selbstverständlichkeit. Nur wer ganz nah bei ihnen sitzt, bemerkt, daß ihnen das Blut im Hals ein bißchen heftiger klopft, als es ihrem Alter und ihrer Konstitution entspricht. Alwin hatte am Spieltisch gelernt, sein Gesicht zu zähmen, seine Hände in seine Gewalt zu bringen und der Welt einen souveränen Mann vorzuspielen, auch wenn die Aufregung sein Blut in Wirbeln durch die Adern jagte.

    3

    Bis in die frühen Morgenstunden erhitzte sich die Gesellschaft an Alwins Roulette. Jeder versuchte, dabei ein gleichgültiges Gesicht zu zeigen. Manchmal aber, wenn der oder jener glaubte, er habe ein »plein« gewonnen, Alwin ihn jedoch belehren mußte, daß leider die Zahl daneben »gefallen« sei (wobei ihn Ilse eifriger unterstützte, als es der sachlichen Atmosphäre einer Spielbank förderlich ist), manchmal brandete dann eine böse Heftigkeit auf, die Alwin nur dadurch dämpfen konnte, daß er den jeweiligen Streitfall bagatellisierte und den Querulanten geschmeidig daran erinnerte, daß man doch unter sich sei, daß man schließlich nicht um des schnöden Geldes, sondern um des Spieles willen spiele. Rasch forderte er dann zum nächsten Einsatz auf, drehte die Scheibe und ließ die Kugel aus der Hand schnellen, weil er wußte, daß es nichts Schlimmeres gibt an einem Roulettetisch als den Stillstand und die Diskussion. Die Kugel muß rollen, das Glück muß unterwegs sein, die Leere, die aus einem ruhenden Roulette aufströmt, ist tödlich für die Stimmung der Spieler. Und die unantastbare, jedem Widerspruch Schweigen gebieten, die Autorität, die der Spielleiter in einer richtigen Spielbank verbreitet – er thront auf seinem Hochsitz mit fast priesterlicher Würde, trägt einen tadellosen Frack und verleiht den Handlungen der gelenkigen und wie Automaten funktionierenden Croupiers Sicherheit und Unanfechtbarkeit –, mußte Alwin allein erbringen, durch Klugheit, Lächeln und Großmut; er mußte so tun, als liege ihm überhaupt nichts an diesem Spiel, als fungiere er hier nur aus Höflichkeit, nur um den so sehr geschätzten Angehörigen der Philippsburger Gesellschaft einen Gefallen zu tun. Als Alwin bemerkte, daß das Interesse der Gäste geweckt war, daß die Stimmen der Spieler, wenn sie ihre Einsätze diktierten, vor Erregung zu zittern begannen, so als hätten sie nicht genug Atem, als versagten ihre Stimmbänder im nächsten Augenblick ganz und gar, da bot er in regelmäßigen Abständen an, das Spiel einzustellen, es sei jetzt doch wirklich genug, man könne sich doch noch ein bißchen unterhalten, man sei ja schließlich zu einer Verlobungsparty gekommen und nicht, um die ganze Nacht zu spielen, ihm sei es auch gar nicht recht, wenn der und jener allzu kühn seine Einsätze placiere, er bitte die Damen und Herren doch um ein klein wenig Vorsicht, da er im Interesse der Gesellschaft Angst habe, daß einer größere Verluste erleide. Während er so redete, ließ er natürlich die Kugel keine Sekunde still liegen, unterbrach die Auszahlung und das Placieren der neuen Einsätze nicht ein einziges Mal, seine Worte riefen auch jedesmal so heftige Proteste hervor, daß er sich gleich wieder lächelnd dem Spielwunsch der Allgemeinheit fügte und achselzuckend und eine weitere Phrase anfügend seine Bankhalterdienste versah.
     Nachdem dann die Gewinner genug gewonnen hatten und bemerkten, daß das Glück von ihnen zu weichen begann, und als die viel, viel zahlreicheren Verlierer es zum dritten und vierten Male aufgegeben und wieder probiert hatten, ihrer Pechsträhne zu entrinnen, ließ sich endlich ein Mehrheitsbeschluß für eine Beendigung des Spiels herbeiführen.

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