Ehen in Philippsburg
nie den ganzen Abend hatten und weil es einfach schwer, wenn nicht unmöglich war, gegen Alwin zu gewinnen. Das gelang eigentlich nur Ilse. Sie spielte hohe Einsätze, wagte jedes Risiko, weil das Geld, das sie verlieren konnte, ja lediglich an ihren Mann ging, der die Bank hielt. Sie war die einzige, die regelmäßig gewann und so den Gästen bewies, daß sie ja nicht deshalb verlören, weil sie nicht die Bank hielten, sie selbst spiele ja auch gegen die Bank und gewinne doch fast immer, man müsse eben Geschick haben, ein System und eine gute Portion Glück. Da bei Alwins fast nur wohlhabende Gäste verkehrten, kam es nicht zu unangenehmen Zwischenfällen. Frau Alwin lenkte die Spiellust ihrer Gäste mit großer Umsicht: sie gestattete keinem allzu hohe Einsätze, ließ es nicht zu, daß einer zuviel verlor, zahlte Verluste, die nach ihrer Meinung das Maß des Erträglichen überstiegen, nach Beendigung des Spiels wieder zurück; dabei fing ihr Mann allerdings jedesmal heftig zu klagen an, weil er ja das Geld aus der Bank zurückzahlen mußte. Dieser klagende Widerspruch des Hausherrn, den er von Mal zu Mal mit den gleichen, immer geläufiger werdenden Formeln äußerte, gab der Familie Alwin die Gelegenheit, den Gästen gegenüber nobel und großzügig aufzutreten und sie unter der Tür endlich mit Wohltätermiene zu verabschieden. Während des Spiels wurden beide nicht müde, von enormen Gewinnen zu berichten, die der und jener bei ihnen gemacht habe. Vor allem Durchreisende und solche, die inzwischen aus Philippsburg weggezogen waren, hatten, nach diesen Erzählungen zu schließen, Gewinne gemacht, die die Familie Alwin bis an den Rand des Ruins gebracht haben mußten. Frau Alwin legte den allergrößten Wert auf diese Erzählungen, weil sie in der Philippsburger Gesellschaft die Meinung verbreitet wissen wollte, daß Alwins Roulette ein Zuschußunternehmen sei, das die Alwins nur zur Freude und zum Amüsement ihrer Gäste unterhielten. Nun war es auch nicht die Absicht der Alwins, mit Hilfe dieses Roulettes reich zu werden, dazu war Ilse Alwin viel zu klug, sie wollte damit lediglich die Ausgaben decken, die durch die Einladungen entstanden. Und seit das Roulette diese Gelder abwarf, bewirtete sie ihre Gäste mit den allerbesten Weinen und den erlesensten Leckerbissen, was ihr als Gastgeberin zu besonderem Ruhm verhalf.
Alwin stürzte also durch den Schnee- und Regensturm zu seinem Auto, preschte durch Nacht und Unwetter und holte sein Roulette. Eine große Spielgemeinde erwartete ihn und umringte ihn sofort, als er zurückkam, er war der Held des späten Abends. Auch Cécile hatte am Spieltisch Platz genommen. »Mesdames, Messieurs, faites votre jeu«, rief er wie ein alter Croupier, setzte sich in Positur, zupfte seine Ärmel zurück, placierte die Jetons mit geübten Bewegungen und geschickt gezielten Würfen auf die gewünschten Felder und brauchte dazu kaum das Rateau, das er spielerisch mit zwei Fingern übers Feld dirigierte. Hier eine Transversale bitte? Jawohl! pleine? pleine, bitte! ein Finale 4/7! bitte schön, eines zu drei oder eines zu vier? zu drei! bitte schön, eines zu drei! und im gleichen Atemzug erklärte er noch, wenn ein Neuling fragte: Manque, das sind die Felder von 1 bis 18, Passe von 19 bis 36; ein Cheval, bitte hier, so, Mesdames et Messieurs, alors, faites votre jeu, und schubste gleichzeitig Scheibe und Kugel an, rief noch: non ne va plus und genoß die atemlose Stille der Gesellschaft und das erregend harte Schlagzeugsolo, das die Kugel in der rotierenden Scheibe schlug. Eine so große Gesellschaft und eine so muntere und wagelustige hatte Alwin noch nie um sein Roulette versammelt gesehen, vielleicht war das überhaupt sein größter Abend, seit er sich der Philippsburger Gesellschaft zugehörig fühlen durfte. Sobald der Rechtsanwalt Dr. Alwin es sich hatte leisten können, war er mit seiner Frau immer wieder nach Bad Homburg und nach Travemünde gefahren und einmal im Urlaub sogar nach Monte Carlo. Sie hatten nie mit sehr hohen Einsätzen gespielt. Tagelang hatten sie die Rot-Schwarz-Serien beobachtet, hatten sich Notizen gemacht und sich anschauen lassen, als wären sie gerissene Systemspieler, die nur den richtigen Augenblick abwarteten, um dann eine groß angelegte Spielschlacht gegen die Bank zu entfesseln. Spielen, das war Nahrung für Alwins Selbstbewußtsein, das hob ihn in die große Gesellschaft, er fühlte sich umgeben von Garcias und Kortikoffs, obwohl er doch,
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