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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Motor aufheulen lassen, hupen sollte man dürfen, ein Rennen fahren, in eine Bar gehen, mit Cécile, ja, mit Cécile, sie war frei, jetzt war sie zu haben, Benrath war fort, hatte sie zurückgelassen, dieses üble Zucken im Gesicht, wahrscheinlich war sie fertig, herunter mit den Nerven, glaubte sich schuldig an diesem Selbstmord, man mußte sie beruhigen, mußte helfen, ja, wirklich, ohne allen Egoismus, eine solche Frau darf man nicht einfach vor die Hunde gehen lassen, und wem würde sie in die Hände fallen, wenn er nicht eingriff, das konnte er nicht zulassen, niemals. Ilse berichtete von ihren Beobachtungen beim Spiel. Cécile sagte während der ganzen Fahrt kein Wort. Sie saß aufrecht und starrte nach vorne in den im Scheinwerferlicht aufgleißenden Regen, der fast waagrecht auf das Auto zutrieb, eine aus einem dunklen Schlund strahlenförmig auf das Auto zuschießende Flut von Wasserpfeilen. Alwin hätte diese Fahrt gegen den anschießenden Regen gerne Cécile gewidmet, er vollführte jede Bewegung in Gedanken an sie, aber er hätte ihr das gerne auch gesagt, sie sollte es wissen. Darum suchte er ihren Blick im Rückspiegel. Vergebens. Sie rührte sich nicht. Ihre Augen starrten geradeaus. An ihm vorbei.
     Ilse entwickelte unterdes eine Theorie. Sie könne jedem auf den Kopf zusagen, ob er beim Spiel gewinne oder verliere. Das gehöre mit zur Persönlichkeit und sei unabhängig von den wechselhaften Launen des sogenannten Glücks. Büsgen zum Beispiel, dieser sentimentale Kloß und brutale Chefredakteur, der müsse verlieren, weil er ein unglücklicher, zerspaltener Bursche sei, ehrgeizig, herrschsüchtig, aber im Grund genommen weich und unvernünftig. Ebenso klar sei es, daß Beumann verliere, weil er ein Träumer sei, der sich mit dem Spiel etwas erschleichen wolle, was ihm die Wirklichkeit vorenthalte, während Anne, die instinktsichere Realistin, eben gewinne. So hechelte sie die Philippsburger Gesellschaft durch! Mauthusius habe natürlich gewonnen. »Das wird uns nützen«, flüsterte sie ihrem Mann zu. Die Dumont, diese haltlose Person, habe selbstverständlich verloren, mindestens soviel wie Büsgen. Ja, das Spiel sei eben nicht bloß vom Zufall abhängig, in ihm komme das persönliche Schicksal jedes Spielers zum Vorschein. Wer im Spiel gewinnt, gewinnt auch im Leben, das war ihre These, die sie triumphierend vortrug. Natürlich müsse man diesen Satz in jedem Fall anders anwenden. Gewinnen, das heiße nicht nur, äußeren Erfolg haben. Gewinnen, das heiße, glücklich sein können, denn dazu bedürfe es nicht des Glücks, sondern einer spezifischen Fähigkeit. Deshalb habe sie sich sehr gewundert, daß Frau Frantzke heute nacht gewonnen habe, denn im Grunde genommen könne die nicht gewinnen, diese von Geltungssucht zerfressene Person, die habe nicht die geringste Fähigkeit, glücklich zu sein, aber daß sie doch gewonnen habe, das sei eben die Ausnahme, die die Regel bestätige.
     Alwin ließ seine Frau reden. Er war ganz bei Cécile. Er fragte sie – und beobachtete sie dabei im Rückspiegel –, ob sie vielleicht zu rauchen wünsche. Sie lehnte ab, ohne ihren Blick aus den heranschießenden Regenmassen zu nehmen. Was sollte er bloß tun, um die Aufmerksamkeit dieser Frau auf sich zu lenken? Wenn bloß Ilse nicht wäre! Schneller fahren, noch schneller, wollen doch sehen, ob sie die Geschwindigkeit spürt, ob sie nicht ein bißchen Angst bekommt! Er konnte sich das leisten, Auto fahren, da machte ihm nicht so leicht einer was vor. Na Cécile, oh, jetzt hielt sie sich schon fest, sogar an seiner Rückenlehne, noch ein bißchen drauf und ganz vorsichtig mit dem Rücken auf ihre Hand zuschieben, so, jetzt, das sind ihre Finger, aber warum zieht sie ihre Hand weg, er mußte ihr folgen, jetzt gab es kein Zurück mehr, jetzt sollte sie endlich erfahren, wie es um ihn stand, wenn sie ihn abwies, bitte, sollte sie, es würde ihn nicht umbringen, er hatte noch andere, aber er wollte jetzt endlich einmal Klarheit…
     Cécile schrie auf, Alwin nahm den Blick aus dem Rückspiegel, sah im Bruchteil einer Sekunde noch das Licht, das auf ihn zuschoß, dann folgten zwei harte metallische Schläge.
     Er war noch auf der Straße, das Auto fuhr, hinter ihm sang ein aufheulender Kleinmotor in die Höhe wie ein Millionenheer von Schnaken, ein Kleinmotorrad, es mußte umgestürzt sein, er konnte nichts dafür, nichts, nichts! »So halten Sie doch an, halten Sie doch endlich an!« Cécile schrie ihm ins Ohr. Es

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