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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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blieb ihm nichts anderes übrig als anzuhalten. Als sie ausstiegen, heulte der Motor des Kleinmotorrads noch gräßlicher auf, wahrscheinlich hatte der Fahrer, der regungslos zwei Schritte davon entfernt lag, das Gesicht auf der Straße, die Hände weit ab, wahrscheinlich hatte er beim Sturz den Gasgriff, ohne es zu wollen, auf Vollgas gedreht. Cécile und Alwin waren fast gleichzeitig bei dem Gestürzten, Cécile wollte sich schon bücken, den Gestürzten umdrehen, als Alwins Ruf sie zurückriß: »Um Gottes willen, nicht anrühren, bis die Polizei kommt, alles so lassen, hier wird nichts verändert, das muß untersucht werden, Sie haben ja gesehen, wie er auf uns zugefahren ist, Sie sind Zeugin…«
     Cécile unterbrach ihn, sie rief um Hilfe, dreimal, Alwin solle doch endlich den heulenden Motor abstellen, rief sie, und dann wieder um Hilfe. Da flammten auch schon Lichter auf, links und rechts, und Leute liefen heraus, ein Mann beugte sich sofort zu dem Gestürzten und drehte ihn um, Alwins Protest half nichts, der Verunglückte ersticke ja, schrie der Mann, eine Frau holte den Arzt, Cécile kniete bei dem Verletzten, Alwin bückte sich auch hinab; Ilse warf einen Blick in das Gesicht des Gestürzten, griff nach seiner Hand, die sie ruhig und wie eine Sache von der Straße aufhob, dann sagte sie: »Völlig betrunken«. »Aha«, rief Alwin aus und sprang auf und schrie es in das Motorengeheul, das eben in diesem Augenblick erstarb, so daß sein Ruf viel zu laut wurde und grell durch die Straße hallte: »Betrunken ist er. Stockvoll. Und so was fährt auf der Straße herum. Eingesperrt gehört der, hinter Schloß und Riegel…«
     Die Umstehenden verboten ihm, so weiterzuschreien. Er hätte in seiner Erregung gar nicht bemerkt, daß der Motor nicht mehr heulte. Zuerst müsse einmal geholfen werden. Alwin sah wieder auf das grobe Gesicht des Liegenden hinab, die Augen starrten durch kleine Schlitze zu ihm herauf und bewegten sich nicht. Unter der Nase hatte sich ein schwarzes Gerinnsel gebildet. Einer knipste eine Taschenlampe an: die Lippen waren zerschlagen, das ganze Gesicht war zerschürft, Moment, Alwin griff zu und zog aus der Rocktasche des Ohnmächtigen eine Flasche, aha, Alkohol, Schnaps, purer Schnaps, widerliches, billiges Fuselzeug, da, bitte, riecht alle daran, der Kerl ist voll, ich bin nicht schuldig, da seht ihr es doch, der hat es sich selbst zuzuschreiben,, stockbesoffen…
     Einer sagte, man müsse den Verletzten mit Alwins Auto ins Krankenhaus bringen. Alwin weigerte sich. Zuerst die Polizei! Er habe ein sauberes Gewissen. Er rühre nichts an. Zuerst müsse alles protokolliert werden. Er sei Rechtsanwalt und wisse Bescheid. Aber jetzt war der Arzt eingetroffen, der befahl den sofortigen Abtransport des Verletzten. Die Stelle, wo er gelegen hatte, markierte er mit einer Kreide. Ilse flüsterte Alwin zu, er solle sich nicht widersetzen.
     Alwin holte also sein Auto, schimpfte aber in einem fort gegen den Betrunkenen und dachte, obwohl er spürte, daß das nicht recht war, der Kerl beschmutzt mir auch noch mein Auto, er verbot sich diesen Gedanken, aber während zwei Männer unter Anleitung des Arztes den Verletzten in Alwins Auto betteten, kehrte dieser Gedanke immer wieder zurück. Der Arzt sagte, der Zustand des Verletzten sei sehr ernst. Als Alwin darauf antwortete, daß sich das der Motorradfahrer selbst zuzuschreiben habe, sagte der Arzt, Alwin solle sich schämen, in diesem Augenblick von Schuldfragen zu sprechen, es könne immerhin sein, daß der Gestürzte seinen Verletzungen erliege. Alwin spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoß, er mußte sich am Auto festhalten, was sagte der Arzt da, den Verletzungen erliegen, dieser Betrunkene, der schräg über die Straße getorkelt war mit seinem Kleinmotorrad, das wäre eine schöne Geschichte, Gerichtsverhandlung, Zeitungsberichte, das konnte sein Ruin sein, etwas bleibt immer hängen, man gibt nie einem allein die ganze Schuld, schon wegen der Versicherung, und er, am Beginn seiner politischen Laufbahn, wie sollte er Wähler gewinnen, einen Mörder würden ihn seine politischen Gegner nennen, ein Politiker braucht eine saubere Weste, am Anfang vor allem, und nun mußte ihm so was passieren.
     Alwin spürte eine Wut aufsteigen gegen diesen Betrunkenen. Er hatte in den Rückspiegel gesehen, nach Cécile, aber er hatte doch die rechte Straßenseite nicht verlassen, oder doch? Schnell gefahren war er ja. Ob Cécile gesehen hatte, daß er die

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