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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Einer, der sich umbringt, mußte dem Lebenden gegenüber immer im Recht sein! Oder hatte er selbst schon recht, bloß weil er noch lebte? Gab es eine Wahrheit, der man um jeden Preis, auch um den des Lebens, im eigenen Bewußtsein zehrende Heimstatt verschaffen mußte? Oder waren die Gedanken die richtigen, die einem erlaubten weiterzuleben? Er spürte, daß er etwas suchte, was ihn gegen Klaff schützen konnte. Mit Möglichkeiten kann man schon leben, sagte er sich, später muß man eben ohne sie weiteratmen. Hatte nicht auch er mit dem Eintritt in das sogenannte Leben sein ganzes Dasein schon verwirkt! Ein kurzer Sommer hatte genügt, und alle Möglichkeiten waren zusammengeschrumpft, zu einer kleinen Wirklichkeit, der er nicht mehr entrinnen konnte. Klaff hatte zuviel aus sich gemacht, weil er allein gewesen war! Der war ihm doch schon bei jenem ersten nächtlichen Besuch vorgekommen wie ein Vogel ohne Flügel, ein schweres Geschöpf, das sich nicht erheben kann, das sich voller Mißtrauen seine beschwerlichen Pfade hinschleppt, mit den Steinen streitet und mit den Winden, ein Geschöpf, das nur von seinem Schöpfer eine Rechtfertigung seines Daseins hätte erhalten können. Aber an den glaubte Klaff nicht… Nein, so einfach war es auch nicht mit Klaff, aber wie sollte er ihn dann verstehen können, er, dem diese Tat ganz, ganz unverständlich war. Hans Beumann war froh, daß er nicht weiterlesen mußte (wozu er sich verpflichtet gefühlt hätte, wenn er den Abend in seinem Zimmer verbracht hätte). Der Programmdirektor Knut Relow hatte ihn eingeladen und erwartete ihn im Funkhaus.
     Der Pförtner grüßte ihn wie einen alten Bekannten. Hans rann es warm durch den Körper. Das sollte seine Mutter sehen, vor allem die mißgünstigen Kümmertshausener, die immer bezweifelt hatten, daß aus ihm je etwas Rechtes würde, denen hätte er gerne vorgeführt, wie der Pförtner des Philippsburger Funkhauses ihn grüßte. Ja, der Herr Programmdirektor erwarte ihn schon. Hans summte die Töne des Aufzugs mit und ging dann den langen Gang zur Programmdirektion, als gehe er in seiner eigenen Wohnung bloß schnell vom Wohnzimmer in die Küche. Das Vorzimmer war um diese Tageszeit leer. Er klopfte an der Doppeltür und trat ein in das Büro, das eher ein Saal war. Ganz fern, jenseits eines messingfarbenen Teppichs, der Hans’ Schritte ohne Widerstand schluckte, sah er Herrn Relow und seinen Schreibtisch. Beide schienen zu schweben. Und im Näherkommen erkannte er, daß die Wand, vor der Relow und sein Schreibtisch zu finden waren, eine einzige Landkarte war: und obwohl das Gebiet, das der Philippsburger Rundfunk mit seinen Programmen versorgte (man nannte das so, weil das Radioprogramm zu den lebenswichtigen Dingen wie Mehl und Milch und Fleisch gehörte), in Wirklichkeit viel größer war als die Wandfläche, auf der man es hier abgebildet hatte, hatte Hans doch den Eindruck, als sei diese riesige Wandkarte (übrigens keine lose Karte, die Wand war damit tapeziert) eine Übertreibung, als habe man das Philippsburger Sendegebiet hier nicht, wie es üblich ist, in einem verkleinerten, sondern vergrößerten Maßstab dargestellt; so groß – das war sicher – wie dieses Gebiet als Bedeckung einer ganzen Wand hier wirkte, war es auf keinen Fall. Programmdirektor Relow hatte natürlich bemerkt, daß Hans die Karte bestaunte. Er stand auf – jetzt war er größer als der Schreibtisch –, nahm seine Zigarre aus dem Mund (die sein junges, leicht übersehbares Sportlergesicht noch jünger gemacht hatte, man hatte das Gefühl, wenn man ihn Zigarren rauchen sah, er tue etwas Verbotenes, zumindest aber etwas, wobei man ihm helfen, oder wovon man ihm, noch besser, abraten sollte), dann drehte er sich halb zur Karte und erklärte Hans, indem er auf rote und blaue Fähnchen hinwies, von denen das ganze dargestellte Gebiet wie von einem Aussatz überzogen war, wie weit im Augenblick die Versorgung seiner Hörer fortgeschritten sei. Auch er gebrauchte das Wort Versorgung mit Selbstverständlichkeit. Und er sagte (ebenso selbstverständlich): meine Hörer. So muß ein General oder ein König oder ein Verschwörer vor der Karte eines noch zu erobernden Gebietes auf und ab gehen, dachte Hans Beumann und war doch beeindruckt von den Worten und Bewegungen des Herrn Programmdirektors, den er fast nur als einen etwas zu gut gekleideten Mann auf Gesellschaften kennengelernt hatte. Daß dieser Mann, dem man nachsagte, er wäre besser

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