Ehen in Philippsburg
bevor man die Hand ergreifen konnte. »Wir kennen uns«, sagte Marga und lächelte, daß sich ihre Zähne fast unmerklich langsam entblößten. So muß es sein, wenn in alten Theatern der Vorhang sich nach oben hebt und ganz vorsichtig, um die Augen der Zuschauer nicht zu blenden, Stück für Stück (aber nicht ruckartig, sondern in fließender Bewegung) eine prächtig glänzende Szene freigibt.
Herr Relow und Hans zogen ihre Mäntel aus und hängten sie selbst in die Garderobe. Sich dabei von Marga helfen zu lassen, wäre Hans peinlich gewesen, obwohl er jetzt erfuhr, daß Marga seit zwei Monaten im Nachtlokal Sebastian »arbeite«. Ja, sie sagte: »Ich arbeite hier.« Hans wagte nicht zu fragen, warum sie Büsgen verlassen habe und welche Art Arbeit sie hier verrichte. Er ärgerte sich jetzt, weil er Marga im vergangenen Sommer nicht festgehalten hatte. Wenn er wenigstens einen Versuch gemacht hätte. Vielleicht hätte er es sogar verhindern können, daß sie ihren Beruf aufgab. Als müsse sie sich bei ihm entschuldigen, flüsterte sie ihm zu: »Ich verdiene hier das Doppelte!« Hans nickte ihr heftig zu und machte ein Gesicht, das ihr zeigen sollte, daß er ihren Berufswechsel voll und ganz billige. Und eigentlich war es ja auch so. Er war froh, sie wiederzusehen. Er mußte ihr geradezu dafür dankbar sein, daß sie ihre Stelle im Weltschau-Hochhaus aufgegeben hatte.
Durch den schwarzen Vorhang, aus dem Marga sich vorhin geschält hatte, waren sie in einen runden Raum getreten, an dessen rotschwarzes Dunkel sich Hans erst gewöhnen mußte. Tief unten, wahrscheinlich zu ebener Erde (sie waren ja über die gewundene Treppe in den ersten Stock hinaufgestiegen), drehten sich auf einer matt erleuchteten Milchglasfläche drei Paare. Rund um diese Tanzfläche stiegen Terrassen auf, nicht gleichmäßig, nicht eine über der anderen, nicht jede die Tanzfläche ganz umschließend. Die eine bot für drei Tische Platz, die andere nur für einen, da waren einige mit Baldachinen überdacht, auf anderen hatte man sogar logenartige Zelte aufgerichtet, in die man wahrscheinlich nur von der Tanzfläche, und wenn sich die Gäste tiefer ins Innere der Logen setzten, nicht einmal von der Tanzfläche aus hineinsehen konnte. Auf der Höhe des Eingangs, durch den Relow und Hans gekommen waren, umlief eine der Rundung des Raumes folgende Bar das ganze Lokal, eine riesige Bar also, an der die paar Herren, die jetzt dort saßen, recht verloren wirkten. »Cordula, darf ich dir Hans Beumann vorstellen«, sagte Relow und präsentierte seinen Gast einer mächtigen Frau, die aber recht mühelos von einem Barhocker glitt, um Hans zu begrüßen. Relow erklärte: »Cordula ist die Frau des Hauses«, (»aber gar keine Hausfrau«, warf die so bezeichnete Dame dazwischen), »das nicht«, sagte Relow, »aber der Hort der Geselligkeit und überhaupt der glänzendste Zacken in der Krone der Schöpfung.« Hans stellt sich einen Augenblick vor, welchen Umfang eine Krone haben müßte, daß diese füllige Dame in ihr noch als Zacken fungieren konnte!
Cordula sagte: »Schon viel von Ihnen gehört, junger Mann.« Hans verneigte sich, überlegte, was man darauf wohl zu sagen hätte, und war froh, daß Cordula Marga zurief: »Vier Miami, nein fünf, Marga, fünf!« Unter einem Baldachin nahm man Platz. Hier wartete schon Helmut Maria Dieckow. Relow entschuldigte sich dafür, daß er jetzt erst komme. Er fahre eben immer noch zu langsam, sagte er lachend und schon des Widerspruchs aller Zuhörer sicher. Na ja, er langweile sich ja nie, sagte Dieckow, seinesgleichen trage bekanntlich die Werkstatt im Kopf mit sich. Der Schriftsteller streichelte dabei zärtlich die auch heute mit äußerster Sorgfalt in die Stirn gekämmten Haare. Bevor man dem Gast eröffne, was mit ihm eventuell, wenn er einverstanden sei, geschehen solle, wolle man ein bißchen trinken und plaudern, eben einen Abend, eine kleine Nacht zusammen verbringen, wie das im Nachtlokal Sebastian üblich sei. Zum Zeichen, daß die Gemütlichkeit begonnen habe, ließ sich Relow ganz in seinen Sessel sinken. Die anderen folgten. Hans bemerkte, daß im Mobiliar und im Dekor dieses Lokals einige Jahrhunderte vertreten waren; und nicht nur in Imitationen. Die Geländer, die die einzelnen Terrassen umliefen, schienen in alten Schlössern als Balustraden gedient zu haben, und zwar in den verschiedensten Schlössern, weshalb sie sehr verschiedene Formen zeigten. Oft hatte ein einziges Geländer nicht
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