Ehen in Philippsburg
ausgereicht, so daß ein anderes, höher oder niedriger, angestückelt worden war. Von den Säulen, die die Baldachine trugen, winkten Engelsköpfe herab, zwei, drei, zu pausbäckigen Wolken versammelt, und überall ragten Kerzenhalter mit dicken gelben Kerzen. Auf einer der Terrassen war eine Figur aufgestellt, offensichtlich der heilige Sebastian, wie er mit schmerzlich auf die Schulter sinkendem Haupt sein Leben unter den heidnischen Pfeilen aushaucht. Seine linke Hand umfaßte, wobei der Arm fein ausgewinkelt in die Höhe stach, den Schaft des tödlichen Pfeils, nicht um ihn aus dem Herzen zu entfernen, das sah man, sondern so, als streichle er ihn, was heißen mochte, daß er seinen Mördern verzeihe. Relow und die anderen beobachteten mit Genuß, daß Hans über das, was er in diesem Nachtlokal vorfand, verwundert war. Und Hans wiederum bemerkte sehr wohl, daß man die Unterhaltung zum Flüstern herabgestimmt hatte, um ihm Gelegenheit zum Schauen zu geben, er spürte, daß man sich an seiner Überraschung weiden wollte, und er steigerte den Ausdruck der Überraschung zur hellen, mundoffenen Verblüffung, weil er ahnte, daß man das von einem Neuling erwartete.
Relow forderte, als Hans sich wieder dem Tisch zuwandte und dabei die von ihm erwarteten Reaktionen zeigte, zuerst einmal auf, was Marga serviert hatte, auf das Wohl des Gastes zu trinken. Wenn Hans richtig gehört hatte, dann war das, was jetzt ihm zu Ehren getrunken wurde, ein Miami, also etwas, was er nur in der Zusammensetzung Miami-Beach kannte, und was allem Vernehmen nach eine Badelandschaft in Amerika bezeichnete. Indirekt bitter, anders hätte, wenn er dazu aufgefordert worden wäre, Hans seinen Geschmackseindruck nicht formulieren können. Es war, als scheue sich dieses Getränk, einen eindeutigen, unverkennbaren Geschmack zu haben, als sei ihm (oder seinen Herstellern) vor allem daran gelegen, daß es nicht sofort auf eine bestimmte Nuance festgelegt werde; deshalb entfaltete es, hatte man’s einmal in die Mundhöhle gegossen, zuerst einen faden, noch gar nicht einzuordnenden Geschmack. So blieb es, bis man es, neugierig geworden oder einfach, weil man es los sein wollte, allmählich dem Gaumen zuspülte und zu schlucken begann. Da entließ es dann einen herberen Geschmack, der zwar nie eindeutig bitter wurde, aber, wenn er überhaupt zu bezeichnen war, einer etwas bedeckten, gar nicht aggressiven, ja eben einer indirekten Bitterkeit doch sehr nahe kam. »Cordulas Erfindung«, sagte Relow und hob der Dame das Glas mit einem Rest Miami entgegen. Hans fühlte sich verpflichtet, jetzt endlich zu sagen: »Wo haben Sie bloß all die schönen Sachen her?«
»Nicht wahr, da staunen Sie«, sagten Relow und Dieckow fast miteinander, froh, daß man endlich darauf zu sprechen kam. Cordula aber faltete die nicht unbeträchtlichen Hände, die trotz ihrer ungewöhnlichen Flächenmaße gar nicht flach wirkten, gleichzeitig gab sie ihrem im dunklen Raum verfließenden Gesicht eine andächtige Fassung und sagte (eigentlich hatte man, wenn man ihre Vorbereitung zum Sprechen beobachtet hatte, etwas mehr erwartet): »Da steckt viel Arbeit drin.« Und als dann nichts mehr kommen wollte aus ihrem ebenfalls recht umfänglichen Mund (der so groß war, daß sie wahrscheinlich längst eingesehen hatte, wie unnötig es war, ihn wegen jedes Satzes ganz zu öffnen, es genügte vollkommen – und so hielt sie es denn auch –, wenn sie ein Viertel oder allenfalls ein Drittel der zu Gebote stehenden Lippenbreite öffnete, um das, was sie zu sagen hatte, zu entlassen; natürlich öffnete sie immer jene Lippenpartie, eigentlich sollte man sagen, weil ihr Mund sich doch fast wie ein Rund durchs Gesicht zog, jenen Sektor ihrer Lippen, der demjenigen, den sie vor allem ansprechen wollte, zugewandt war; die Zuhörer, die auf der Seite saßen, auf der die Lippen fest geschlossen bleiben, konnten nur an der Stimme erkennen, daß Cordula am Sprechen war), ja, als dann gar nichts mehr kommen wollte aus diesem Mund, da vergewisserten sich Relow und Dieckow zuerst einmal mit vorgestreckten Köpfen, daß Cordulas Mund rundum geschlossen war, daß also keine Partie nach irgendeiner Seite hin ein Gespräch führte (wenn sie ihre Zunge hätte spalten können, hätte sie tatsächlich den Versuch machen können, zwei Gespräche nach verschiedenen Seiten gleichzeitig zu führen), und dann polterten sie los und sagten, der Gast habe schließlich ein Anrecht darauf, ein bißchen mehr
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